Steve Blame im Interview bei Spiegel Online
Ex-MTV VJ Steve Blame unterhält sich bei Spiegel Online über die Rolle von anspruchsvollen Produktionen im deutschen Fernsehen. Er diskutiert darüber, warum mehrfach ausgezeichnete US-Serien wie „Six Feet Under“ und „The Sopranos“ hierzulande so unter Ausschluss der Öffentlichkeit laufen.
Ganz verstehe ich ehrlichgesagt nicht, worauf Steve Blame nun hinauswill. Will er mehr US-Produktionen in der deutschen Primetime oder lieber deutsche Produktionen, die sich mit US-Produktionen messen lassen können? Beides sind in meinen Augen keine realistischen Ziele. Vielleicht ist es ein Vorurteil, aber die Mehrheit der Deutschen will keine US-Produktionen im deutsche TV sehen. Hier will man „Alphateam“ statt „Emergency Room“ – das zeigen auch die Quoten. Zwar ist man hier nicht so „ameriphob“ wie beispielsweise die Franzosen, aber der Teil der TV-Zuschauer, der sich momentan hierzulande für US-Produktionen interessiert, sind (leider) hauptsächlich „Serienjunkies“ wie unsereins – vorwiegend junge Leute unter 30 – demographisch sicherlich ähnlich zum Altersgefüge der „Internet-Generation“. Zwar wächst der Anteil auch in den anderen Altersgruppen, aber (ohne es mit konkreten Zahlen unterlegen zu können) ich meine dass dieser Anteil insgesamt gesehen noch zu gering ist. RTL und Sat.1 haben sich weg von US-Serienmaterial mehr auf deutsche Eigenproduktionen konzentriert und wurden dafür von den Zuschauern auch belohnt. US-Produktionen hingegen laufen nur erfolgreich, wenn man sie à la „24“ und „Sex and the City“ mit einer fetten Werbekampagne begleitet (und wie im Fall von „24“: Sobald man die Bewerbung zurückschraubt, fallen die Quoten in den Keller). Und Blames Behauptung, dass es den Sendern Glaubwürdigkeit bringe, wenn sie sich mit US-Serien „schmücken“ wage ich doch zu bezweifeln. Vielleicht hat er auch was anderes gemeint, aber ich sehe keinen Zusammenhang zwischen der Glaubwürdigkeit eines Senders und der Ausstrahlung von „The Simpsons“ und „Sex and the City“. Wenn man allerdings „Glaubwürdigkeit“ durch Begriffe wie Beliebtheit, Zuschauer-Treue, „höhere Zielgruppen-Affinität“ ersetzt, kann ich zustimmen. Ein Sender ist in meinen Augen „glaubwürdig“, wenn er in den „Nachrichten“ nicht über Britney Spears neuen Liebhaber berichtet und Serienepisoden nicht nach dem Zufallsprinzip sendet.
Interessant ist, dass Blame den Fall „West Wing“ anspricht. Zitat Blame: „die Programmchefs denken, als Deutscher würde man amerikanische Politik nicht verstehen„. Da muss ich Blames Kritik voll und ganz recht geben. Warum wird im deutschen TV soviel Schrott ausprobiert, aber nicht mal ein Probeballon mit „West Wing“ in der Prime Time gestartet? Von mir aus auch im Hochsommer – aber die Serie einfach im Archiv verstauben zu lassen – das kann’s ja wohl nicht sein. Ich nehme zwar an, dass es durchaus Vorführungen bei Probezuschauern gab, aber dass offenbar selbst VOX und insbesondere Kabel 1 sich nicht an diese Serie trauen, verwundert mich immer wieder. Anderes Beispiel: „Gilmore Girls“. Ursprünglich für die VOX-Primetime geplant versendet man die Serie jetzt nachmittags – und das mit hervorragenden Quoten. Auch hier überzeugte das Feedback der VOX-Probezuschauer wohl nicht. Ein Start in der Primetime hätte ein Risiko für VOX bedeutet – was man nach dem „7th Heaven + Once and Again“ Debakel in 2001 offensichtlich nicht eingehen wollte.
Und dann ist da das Problem „Synchronisation“. Nicht jede Synchronisation ist automatisch schlecht, aber sie hat einen sehr großen Einfluß darauf, wie US-Serien hierzulande ankommen. Der Autor eines deutschen Synchrondrehbuchs hat mindestens die gleiche Bedeutung für eine Serie wie der Autor des originalen US Drehbuchs.
Viele nennen als Ausweg den Zweikanalton. Aber mal ehrlich – wir sind hier nicht in den Niederlanden, wo fast jedes Kind zweisprachig aufwächst und Serien problemlos mit Untertiteln laufen können. (In Deutschland sind Untertitel undenkbar, siehe auch den Auszug aus einer EU-Studie von 2001: http://www.andreas-lazar.de/o-ton.gif) Auch der Zweikanalton würde somit wieder nur eine Minderheit erfreuen – und Minderheiten sind bei der Werbeindustrie gar nicht beliebt. Die Lizenz für eine zweisprachige Ausstrahlung rechnet sich einfach nicht. Was aber nicht heissen soll, dass ein PayTV-Modell mit US-Serien im Originalton nicht funktionieren würde. Ein Kanal, der Top US-Serien mit etwa zweiwöchiger Verspätung zur US-Premiere gegen Gebühr ausstrahlen würde, könnte sicherlich eine respektable Anzahl an Abonnenten finden. Sony hatte so was wohl auch mal geplant, wenn ich mich recht erinnere…
Und deutsche Produktionen, die sich mit US-Serien messen lassen können? Finanziell wohl nicht möglich – Blame sagt es ja selbst: $3 Millionen US-Dollar pro Episode für „CSI“ wären in Deutschland nicht machbar – der Markt ist zu klein – und selbst die „Syndication“-Rechte für international immerhin sehr erfolgreiche Produktionen wie „Derrick“ und „Alarm Cobra“ machen wohl auch kaum das große Geld. Und um auf dem US-Markt Fuß zu fassen und somit auch rentable Produktionen in CSI-Größenordnung hervorzubringen, müsste man in englisch produzieren. Aber es muss ja nicht gleich CSI-Kaliber sein. Die Briten haben vorgemacht, wie man mit kleinen Budgets erfolgreiche Serien produzieren kann – jüngstes Beispiel: „The Office“. Da lassen sich die Amis sogar dazu hinreissen, die Formate zu kopieren und in US-Fassungen auf den Schirm zu bringen. Und das ist es wohl, was Blame meint: Den Deutschen fehlen innovative Konzepte, die sich mit kleinem Geld realisieren lassen. „Edel und Starck“ sowie „Mein Leben und Ich“ zeigen meiner Meinung nach aber schon erste positive Ansätze – wenn auch bisher nur im typisch deutschen Comedy-Bereich. Überfordern anspruchsvolle Dramen vom Schlage „Las Vegas“, „Once and Again“ oder „The Sopranos“ wirklich den Geldbeutel und die Schreibkünste deutscher Produktionsstudios?
Recht geben muss ich ihm hinsichtlich der Rolle von Autoren im deutschen Fernsehen. Kann irgendjemand die Autoren von „Edel und Starck“ oder „Wolfs Revier“ nennen? In den USA haben hingegen Autoren oder gar Produktionsstudios große Fangruppen. Aber hier gilt wohl auch: Die Masse macht’s. In den USA gibt es keine Konkurrenz durch deutsche oder sonstige ausländische Produktionen – d.h. 120 Millionen US-Fernsehzuschauer schauen auch fast nur US-Produktionen.
Zusammenfassend bin ich der Meinung, dass auf dem deutschen TV Markt derzeit keine große Veränderung hinsichtlich US-Serien absehbar ist. Hoffentlich wird es bald Zugeständnisse an „Minderheiten“ in Form von kleineren PayTV-Projekten geben, ansonsten bleiben die „kleinen“ Sender aus der zweiten Reihe (VOX, Kabel 1 und in gewisser Hinsicht auch Pro7) als Abspielstation. Aber dem „gemeinen“ deutschen Otto-Normal-Zuschauer gefällt der aktuelle Programmmix der großen deutschen „Networks“ wohl recht gut.
Dank an Martin für den Link!