"Das Kanzleramt"
Spätestens jetzt dürfte wohl klar sein, warum „The West Wing“ nicht im deutschen TV gezeigt wird — wenn „Das Kanzleramt“ alles ist, was deutsche Fernsehmacher dem Publidumm zumuten wollen. Im Vorfeld von der ZDF-Marketing Abteilung wie üblich als sensationelles „TV-Event“ gehypt und von der Presse durchaus mit Wohlwollen aufgenommen, entpuppt sich die neue Serie um die Berliner Regierungszentrale als typisch deutsche Provinzposse. Triviale und langatmige Geschichten werden begleitet von derart hölzernen Dialogen, dass man den Darstellern geradezu raten möchte, den offensichtlich anal eingeführten Besenstil dringend operativ entfernen zu lassen.
Autor Martin E. Süskind und Regisseur Hans-Christoph Blumenberg haben betont, dass die US-Serie „The West Wing“ als Vorlage und Inspiration für ihre Show diente — aber bei dem Ergebnis muss man sich wohl fragen, ob ihnen von studentischen Aushilfen nicht doch eher die Kopie einer brasilianischen Telenovela zugestellt wurde. Die Rolle der neuen Abteilungsleiterin im Kanzleramt wurde jedenfalls mit Sicherheit entwickelt während ein „tatort“-Marathon im Hintergrund lief. Vadim Glowna als Forschungsminister hat offensichtlich Anleihen bei der Ausdruckstärke und Spielfreudigkeit eines Ottfried Fischers genommen. ZDF-Allzweckwaffe Atzorn stolpert als Kanzleramtschef sichtbar mühselig und wenig begeistert durch die ihm aufgezwungenen Dialogbrocken („ich werde dafür bezahlt, Druck auszuhalten“). Einzig „Kanzler“ Klaus J. Behrendt bringt noch etwas halbwegs ungezwungene Souveränität ‚rüber – was aber auch an der geringen Screentime in der ersten Episode liegen könnte. Dies ist übrigens eines der wenigen Zeichen, dass Süskind wohl doch die Pilot-Episode von „West Wing“ gesehen haben muss — auch dort wird der Präsident erst recht spät als Überraschungseffekt vorgestellt. In der deutschen Version legen alle Darsteller nach der Vorstellung brav eine verlängerte Dialogpause ein, um dem Durchschnitts-ZDF-Zuschauer ausreichend Gelegenheit für den Denkprozess zu geben (20:50 Uhr in einem rustikal dekorierten Wohnzimmer in Süddeutschland: „Erwin, isch das jetzt de‘ Kanzler?“ — „Joh, Elfriede… „)
Sicherlich erwartet man bei einer deutschen Adaption eines amerikanischen Konzepts keine 1:1 Kopie — das Kanzleramt ist nun mal nicht der West Wing, Robert Atzorn ist nicht John Spencer und das deutsche Publikum hat andere Sehgewohnheiten als das amerikanische. Dazu hat eine durchschnittliche ZDF-Produktion auch nicht das Finanzvolumen einer NBC-Primetime Serie. Dennoch hat das „Kanzleramt“ auch für eine deutsche Produktion einfach zu viele Schwächen vor allem im Drehbuchbereich und in den offensichtlich stark limitierten Fähigkeiten der Darsteller.
In einem Anflug von Übermut hatte das ZDF sogar mit schnellen und gewitzten Dialoge geworben, aber stattdessen wird man mit ewig langen Kamera-Einstellungen aus der Kategorie „Zaunpfahl“ konfrontiert. Brav und strikt nach Schema F wird jeder Schauplatz Stück für Stück abgearbeitet und zum Schluß versucht man sich sogar noch an einem Cliffhanger — und verhebt sich gleich um einige Gewichtsklassen. In dem ZDF-Kanzleramt geht’s zu wie nachmittags beim Bingo im örtlichen Altersheim — da ist nichts zu spüren von der Anspannung und Aktivität, die in einer Machtzentrale der Bundesrepublik zwangsweise herrschen muss. Mit viel guten Willen kann man hie und da in den steifen Dialogen noch Anspielungen an die jüngere deutsche Geschichte erkennen (der aus dem Ruder laufende Forschungsminister erinnert doch in einigen Aspekten an einen ehemaligen Bundesfinanzminister mit Wurzeln im Saarland), aber da war selbst der RTL-Kanzler-Sitcom-Unfall „Wie war ich, Doris“ aus den 90ern noch deutlich pointierter.
Hey, VOX, sucht ihr nicht vielleicht mal was ’neues für den Mittwoch 20:15 Sendeplatz? Ich hätte da eine Idee… so als Kontrast zum ZDF-Programm… 😉
23. März 2005 um 23:31 Uhr
Nach der großen Promotion für die Sendung in Wetten dass? hatte ich bereits die leise Ahnung eines herannahenden Flops. Besonders die ganze Peru-Storyline wirkte ziemlich unrealistisch (zumindest für deutsche Verhältnisse) und passte wohl auch kaum zu den Erwartungen die im Vorfeld geweckt wurden.
Und ich habe auch die dumpfe Vorahnung, dass man sich in der Serie um jede auch noch so kleine Nähe zum realen politischen Leben vermissen wird.
23. März 2005 um 23:36 Uhr
Ja, West Wing, West Wing hip hip…..
Hatte grad eine Vision von der Zukunft West Wing läuft auf RTL, weil es die Jahre zuvor einfach immer erfolgreicher bei VOX gelaufen ist 🙂
Tja das wär doch was WW auf VOX, weil Sie ja eh schon eine Serie abgeben müssen.
gibts vom Kanzleramt eine Wiederholung? weil ich habs leider verpasst und würd mir die Besenstilfolter gern auch antun.
24. März 2005 um 00:41 Uhr
Tja, da sieht man mal, wie trostlos es in der deutschen TV Landschaft aussieht, wenn so etwas gelobt werden muss. Die Kritiken, z.B. auf Spiegel, waren ja durchaus positiv.
Das Resultat dann weniger. Ich als großer Fan des sorkinschen WEST WING, habe natürlich besonders auf Parallelitäten geachtet.
Schlecht ist es, wenn ausgerechnet die einzig gute Szene, dann ein Plagiat vom Original ist. Ich spiele auf die Szene mit dem Leibarzt an, die doch fast 1:1 kopiert wurde. Flapsige Bemerkung des Leibarztes, gefolgt von gespielter Empörung des Amtsinhabers, dass man mit $berühmter_vorgänger (hier Adenauer/im Original FDR) nicht so umgesprungen wäre.
Auch typisch WEST WING, war das „sie haben X Minuten Zeit, um sich alles über (Thema) in Gedanken zu rufen.“.
Ein paar Walk-And-Talks waren zu erkennen, die aber in der „modernen“ Kulisse einfach nicht so wirken wollen.
Vergleiche zum Pilot von West Wing wurden ja schon aufgeworfen. Bartlet hatte dort ebenfalls eine Verletzung und tauchte erst spät in der Folge „überraschend“ auf. Der erste Auftritt der Außenpolitischen Sprecherin (oder so) erinnerte stark an eine ähnliche Szene mit Moira Kelly.
Dass die Serie nicht funktionieren kann, merkt man schon, wenn man sich solche Sätze wie „es geht hier immerhin um deutsche Staatsbürger!“ anhört, die von einem amerikanischen Staatsbürger einfach anders wirken. Auch spürte ich nicht die Tragweite der Krise(n) und so war ich alles andere als gefesselt von der Story.
Zugegeben, ich habe mich zwischendurch beim Zappen auf Eurosport ertappt. Da waren die Dialoge dann doch spritziger.
Es bleibt also dabei, dass EDEL & STARCK die einzig deutsche Serie mit guten Drehbüchern ist.
24. März 2005 um 00:45 Uhr
Ich habe gerade nachgesehen. Es gibt keine Wiederholungen.
24. März 2005 um 11:54 Uhr
Ein Glück habe ich erst neulich meine WW DvDs bekommen. Technisch war das Kanzleramt übrigens auch unter aller Kanone. Extrem entscheidend ist der Schnitt, Kamerapositionierung und Bildauschschnitt. Wer auch immer als Regiesseur verantwortlich zeichnete hat seinen Job äusserst schlecht gemacht. Man mag vielleicht noch von künstlerischen Freiheiten sprechen, wenn die Bildauschschnitte etwas ab von der normalen Anwendung sind, aber Schnitt und vorallem die Blickwinkel der Betrachtung scheinen zusammengestümpert und nicht wirklich gut überlegt. Für eine Unterstreichung der Geschichte ist die genaue Vorüberlegung der drei Punkte essentiell wichtig. Note 6 für Regie, Schnitt und Kamera.
Und übrigens: Ich hab auch gedacht „Das soll der Kanzler sein?“ – war für die Pause dankbar, da ich hier am schwersten versuchen musste, mich nicht zu übergeben. Vorallem weil ich „Frodo“ verstanden hatte. Wie jetzt? Er sah zwar ungefähr so aus, wie er da klein und schmächtig in einem Drehstuhl saß – Dachte schon daran als nächsts folgt „Mein Schatz *krächzublubsabber*“.
29. März 2005 um 13:02 Uhr
Also sooo schlecht fand ich die 1.Folge jetzt nicht, wenn auch nicht so gut, wie ich erwartet hatte, v.a. bei dieser Top-Besetzung. Ich hab die Serie allerdings auch nicht so sehr als Kopie von West Wing gesehen. Den Pilot davon und einige weitere Folgen hab ich mal gesehen, ist aber schon länger her und ich bin weder ein Fan davon noch kenne ich mich damit besonders gut aus. Das soll nicht heißen, dass West Wing schlecht ist, aber ich kenn die Serie einfach nicht besonders gut. Man sollte wohl die beiden Serien einfach nicht vergleichen.
Diese Sache mit Peru im Kanzleramt fand ich auch etwas seltsam bzw. unglaubwürdig. Dass Behrendt als Kanzler als erstes Wort Frodo sagt, fand ich lustig. Außerdem ist mir aufgefallen, dass die Synchronsprecherin von Abby aus ER, Silke Matthias, mitspielte (als Sekretärin des Forschungsministers). War interessant, mal das Gesicht zu der Stimme zu sehen. Kurze Zeit später hab ich sie schon wieder gesehen, in Ein Fall für den Fuchs, einer relativ neuen (und erstaunlich witzigen) Krimi-Reihe mit Walter Sittler auf Sat.1.
S.
26. April 2005 um 13:48 Uhr
Wo nkann ich erfahren, ob und wann es Wiederholungen der „Kanzleramt-Sendungen gibt?
loe
26. April 2005 um 14:12 Uhr
Bei TVinfo.de, der ZDF Zuschauerredaktion, etc. Meines Wissens gibt es derzeit aber keine Wiederholungen, nur jeden Mittwoch um 20:15 eine neue Folge.
5. Mai 2005 um 20:28 Uhr
Auf Quotenmeter.de gibt es nicht nur einen, sondern gleich zwei Berichte über die schlechte Publikumsresonanz beim Kanzleramt. Der Vorgänger auf dem Sendeplatz (Die Albertis) wurde wegen der schlechten Quoten vorzeitig abgesetzt. Mal sehen ob das ZDF den Mut hat selbiges beim Kanzleramt zu tun. Ich fürchte nein.
4. Juni 2005 um 20:57 Uhr
RIP Kanzleramt. Meiner meinung liegt ist das Scheitern doch zu großen Teilen in der Qualität begründet.
Die 1,6 Millionen Zuschauer würde Veronica Mars auf dem Sendeplatz sicher locker überbieten.