Mad Men
Ich kann wirklich nicht behaupten, dass der kleine US-Kabel-Kanal AMC mir bis vor ein paar Wochen ein Begriff war. So erforderte es auch erst einmal die Lektüre des Wikipedia-Artikels um den ehemaligen „American Movie Classics“-Sender halbwegs einordnen zu können. Als primäre Spielfilm-Konservenware-Abspielstation im Stil von TCM war diese Bildungslücke auch nicht sonderlich schwerwiegend.
Aber seit einigen Wochen entstand im Web ein gewisser Pre-Hype zu der neuen AMC-Serie „Mad Men“, erst die dritte oder vierte Serien-Eigenproduktion des Senders überhaupt — vielleicht sogar die erste „richtig große“ Produktion. Doch aus diesem Erstlingswerk scheint etwas richtig gutes geworden zu sein, so versprachen es zumindest im Vorfeld viele positive Reviews.
Verantwortlich für „Mad Men“ ist Matthew Weiner, ehemaliger Autor und Produzent für die „Sopranos“, also kein Unbekannter im Bereich „Quality TV“. Und man spürt, dass er sich auch an diesen Maßstäben messen lassen will — „Mad Men“ hat ein ehrgeiziges Ziel, mit geringem Produktionsbudget ein nicht gerade simples Thema anzugehen.
Die Handlung von „Mad Men“ spielt in den Boom-Jahren der frühen 1960er, Eisenhower war Präsident und der Kalte Krieg in vollem Gange, die Gesellschaft wurde von Männern dominiert während Frauen für Küche und Familie zuständig waren. Und doch begannen langsam alte extrem-konservative Wertvorstellungen aufzubröckeln, Veränderung lag in der Luft.
„Mad Men“ brilliert in der unverblümten Wiederbelebung einer scheinbar lang vergangen Zeit. Wir finden uns in dem Mittelpunkt der damaligen modernen Welt wieder, in der Madison Avenue in New York, genauer in der Werbeagentur Sterling Cooper, wo junge und erfolgreiche Männer geschickte Werbemärchen erfinden, um die Produkte ihrer Kunden an die kaufbegierigen Amerikaner zu bringen. „Modernste Technik“ besteht hier aus handvermittelten Telefongesprächen (man sollte es sich besser nicht mit den Telefonistinnen in der Vermittlungsstelle verscherzen), den ersten Fernsehsendungen und sonstigen krächzenden, kabelgebundenen Kommunikationsmitteln. Und schon gar nicht gibt es „Zaubergeräte, die Kopien von Dokumenten anfertigen können„.
Eine exemplarische Schlüsselszene der Episode ist der Besuch einer jungen Sekretärin beim Frauenarzt, der immerhin auch unverheirateten Frauen schon „ganz fortschrittlich“ ohne großen Widerstand die Pille verschreibt. Allerdings unternimmt er dabei aber auch keine große Anstrengungen, seine Geringschätzung gegenüber dieser vermeintlichen Schlampe zu verbergen. Und wie selbstverständlich pafft er munter an seiner Zigarette, während er mit den Händen routiniert den Unterleib der Frau untersucht.
Ohja, geraucht wird in der Show. Und wirklich nicht zu wenig. Es braucht gar kein „Geruchsfernsehen“, um die komplett verqualmte Luft auch vor dem Bildschirm auf dem Sofa zu spüren. Da wird gefluppt ohne Ende. Um’s Rauchen dreht es sich auch in der Rahmenhandlung der Pilot-Episode: Gerade haben es „manipulative“ Medien doch tatsächlich gewagt, die amerikanische Öffentlichkeit über die Gefahren des Rauchens aufzuklären. Die Tabakindustrie ist in heller Aufregung und sucht verzweifelt nach neuen Werbestrategien, um ihre „saubere“ Ware an den Mann zu bringen. Und Don Draper, der Hauptcharakter in der Serie, gespielt von Jon Hamm, hat zunächst auch keine Idee.
Reihum wird den 60er Jahren auf den Zahn gefühlt: Frauen in Führungsrollen, die es auch noch wagen, einem Mann die Meinung zu sagen, werden geächtet — währenddessen gehen die Männer fremd. Es wird geraucht und getrunken, als gäbe es kein Morgen und Antisemitismus ist an der Tagesordnung.
Natürlich kocht auch „Mad Men“ im Grunde nur mit Wasser. Dem „Held“ kommt wie erwartet in letzter Sekunde die zündende und rettende Idee und der ärgste Konkurrent (Vincent Kartheiser, „Angel“) ist wirklich ein schleimiger Arschkriecher wie man von der ersten Sekunde erwartet. Stellenweise erinnert die Story um den Lucky Strike-Werbekunden zu stark an den rabenschwarzen Klassiker „Thank You For Smoking“. Dennoch zeichnet die Serie ein interessantes und sehenswertes Porträt einer vergangenen Generation — von der sich die heutige Zeit vielleicht doch nicht so sehr unterscheidet, wie man es sich wünschen würde.
21. Juli 2007 um 00:57 Uhr
Schon als ich letztes Jahr das Erste mal von der Serie gehört habe, war ich gespannt aus sie und ich muss sagen das sie meine Erwartungen vollkommen erfüllt, ja eigentlich fast übertroffen würden. Bei dem “Thank You For Smoking”-Vibe muss ich dir zustimmen, was ich aber positiv werte…
21. Juli 2007 um 09:35 Uhr
hab erst vor paar tagen von gehört, und mein gedanke: wasn das fürn sender 😀
21. Juli 2007 um 12:25 Uhr
Wirklich gute Unterhaltung.
Man merkt deutlich den Sopranos-artigen Stil des Autoren. Kein Wunder, dass er dort -mit dem Mad Men Pilot als Spec-Script- einen Job landen konnte.
Zwei Dinge nervten mich. Elizabeth Moss‘ Madonna-Gedächtnis-Spitztitten. Und die Verharmlosung von Rass- und Sexismus.
Ich werd’s aber trotzdem weitergucken. 😛
Würde mich ja sehr interessieren, was für ein Budget die haben.
21. Juli 2007 um 14:09 Uhr
@mb
Äh, Verharmlosung von Rass- und Sexismus? Du weißt aber schon das die Serie in den frühen 60ern spielt…
21. Juli 2007 um 14:44 Uhr
Ja, weiß ich. Aber irgendwie sehe ich den Autor durchs Skript winken: „Hihi, guckt mal was ich mir unter dem Deckmantel des Realismus erlauben kann.“ So als wär es ein Comedy Element und man soll darüber lachen, als wär das alles ein putziges Relikt der Vergangenheit.
Da erwarte ich von einem Drama schon eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit dem Thema. Oder wenigstens weniger Klischees. Für politische Unkorrektheit und Spaß mit Rass- und Sexismus habe ich schon genug Halbstünder. That’s what she said.
23. Juli 2007 um 00:21 Uhr
Ich habe das gar nicht so empfunden. Der Sexismus und Rassimus der Figuren schien mir durchaus „stimmig“ und gar nicht so sehr Aufhänger für politisch unkorrekte Scherze wie es vielleicht bei Life on Mars ab und an der Fall ist.
23. Juli 2007 um 22:31 Uhr
Ich hatte sehr höhe Erwartungen und wurde nicht enttäuscht. Optisch gesehen war den Pilot Klasse. Die Möbel, Kleidung, Telefon, Auto(s)…. wunderbar!
Ich hatte aber ein „komisches“ Gefühl dabei die ich gar nicht erklären kann. Auch 24 Stunden nachdem ich die erste Folge sah ist dies „Gefühl“ noch da.
Off-topic: Hab gerade den Pilot zu „Pushing Daisies“ gesehen. Brilliant! Märchenhaft! Instant hit!
25. Juli 2007 um 15:01 Uhr
Re: „Pushing Daisies“: Ja, das erfüllt die hohen Erwartungen voll. Da kriegt man fast schon Gänsehaut beim Schauen 🙂
„Chuck“ und „Reaper“ sind aber auch solide, wobei bei „Reaper“ leider alle guten Szenen schon aus dem Trailern bekannt sind.
29. Juli 2007 um 09:30 Uhr
Aufatmen. Folge 2 hält was der Pilot verspricht.
18. Oktober 2007 um 00:35 Uhr
Ich habe gerade „Nixon vs. Kennedy“ gesehen. Hände runter, das war das beste Writing und Acting des Jahres. Überschüttet diese Leute mit Preisen, pronto!
Und das Finale kommt ja erst noch.
Season-Finale, zum Glück.
18. Oktober 2007 um 09:46 Uhr
Jepp, das war ganz großes Kino. Wirklich, Kino.
Auf der amc-Homepage gibt es Bilder von der Wrap-Party: Es ist irgendwie bizarr, den ganzen Cast „ohne Kostüm“ zu sehen. Die meisten würde ich wohl auf der Straße nicht erkennen, vor allem Elisabeth Moss.
Oh, und die „Making Of“-Videos auf der Site kann man auch von Deutschland aus sehen – und das sind ’ne Menge 🙂
20. Oktober 2007 um 13:02 Uhr
Zum Finale: Wow.
[spoiler]Peggys Storyline liegt mir aber ein wenig quer im Magen. Ich hatte schon öfters während der Staffel einen dementsprechenden Verdacht, aber dachte eigentlich immer: „Nah, das würden sie wohl erwähnen“. Aber dass sogar Peggy selbst es nicht wahrhaben will… uff. [/spoiler]
Dennoch: Großartig, die beste Serie des Jahres. Bei HBO wird man sich wohl gerade schwarz ärgern…
20. Oktober 2007 um 18:28 Uhr
War wirklich sehr gut, auch wenn ich die Folge vor dem Finale noch besser fand.
[spoiler]Ich war ein wenig enttäuscht, dass Peggy tatsächlich schwanger ist. Ich habe gehofft, dass sie sich bewusst oder unbewusst eine „Schutzschicht“ angefressen hat, die sie dann mit steigendem Erfolg wieder abwirft. Schade.[/spoiler]
Aber das ändert nichts daran, dass es eine der besten Serien der letzten Jahre ist. Für Fans von Sopranos und dem zuweilen gemächlichen Erzählstil sicher ein perfekter Ersatz.
Kann man nur hoffen, dass sie tatsächlich mit Preisen überhäuft werden, damit AMC nicht auf dumme Gedanken kommt. Weiß man etwas über die Quoten? Der Ratings-Thread auf TWoP bietet keine aktuellen Zahlen.
20. Oktober 2007 um 19:32 Uhr
@mb: Du weißt, dass die Serie schon recht frühzeitig für eine zweite Staffel verlängert wurde?
20. Oktober 2007 um 19:43 Uhr
Weiß ich. Nur soweit ich mich erinnere, waren die Quoten für die Premiere zwar nicht schlecht, aber eben auch nicht überragend. Das langfristige Überleben hängt also schon davon ab, wieviel Buzz und Prestige die Serie dem Sender einbringt.
21. Oktober 2007 um 13:40 Uhr
Maureen Ryan hat in ihrem (sehr lesenswerten) Interview mit Matthew Weiner auch nur angedeutet, dass die Show magere Quoten hätte (um 1 Mio), aber in bester „Studio 60“-Tradition einen großen Anteil von Besserverdienenden (sogar > $100.000 Einkommen). Außerdem hat die Show für amc einen immensen PR-Boost gebracht — es gibt ja kaum einen TV-Kritiker da draußen, der „Mad Men“ nicht in den höchsten Tönen lobt. „Mad Men“ könnte die „Signature-Show“ für amc werden.
Spannend wird es dennoch, wie sich die Show dieses kleinen und unbekannten Networks in der kommenden Awards-Season schlägt (v.a. Golden Globes im Januar). Bei TV-Kritikern-Awards wird die Show aber doch wohl einige Preise abräumen können, insbesondere da HBO und die Broadcast-Networks dieses Jahr in Sachen Quality-TV etwas schwächeln. Und eben diese TV-Kritiker werden auch Season 2 nächstes Jahr im Vorfeld kräftig hypen.
Ich bin einfach mal optimistisch und glaube, dass wir uns auch um eine dritte Staffel derzeit keine Sorgen machen brauchen.