Saving Grace
Der Sommer ist eindeutig das Eldorado für die kleinen Cable-Networks. In diesen Monaten, in denen die großen Broadcast-Networks ihre Kräfte sammeln und mit Reality-Ware aus der Konserve die Zeit totschlagen, wuseln die kleinen Networks heran und versuchen mit erstklassiger Ware der vermeintlich übermächtigen Konkurrenz ein paar Marktanteile abzuknabbern. Und verstärkt tun sich dabei auch nicht nur die PayTV-Stationen, sondern auch bisher eher unbekannte Networks mit größeren Eigenproduktionen hervor, zuletzt beispielsweise AMC mit „Mad Men“.
Auch TNT mischt da mit. Das kleine Network, das ebenfalls eigentlich mal ein Spielfilm-Sender gewesen war, der aber allmählich sein Spektrum um Sportsendungen und Drama-Serien erweiterte, hat neben vielen Wiederholungen von Serien der „großen“ Networks in der letzten Dekade auch immer mal wieder Serien aus dem eigenen Haus auf Sendung gebracht, unter anderem „Witchblade“. Die bekannteste eigenproduzierte Serie auf TNT ist derzeit wohl das Krimi-Drama „The Closer“, das seit drei Jahren ein Markenzeichen des Network ist.
Auch das neue Drama „Saving Grace“, das diese Woche startete, kann man in diese Krimi-/Prozedural-Schublade einsortieren, aber mit einem etwas ausgefallenen Touch. Es ist eine Art nicht-jugendfreie Variante von „Ein Engel auf Erden“ oder „Touched by an Angel“ — mit viel Sex, Drogen, Gewalt … und Holly Hunter. Sie spielt die Polizeibeamtin „Grace“, die man wohl bestenfalls als „abgewrackt“ bezeichnen könnte: Sie säuft sich durch’s Leben, hat zahlreiche Affären und ist auch ansonsten alles andere als zart besaitet. Sie nimmt nicht sonderlich viel Rücksicht auf andere oder sich selbst — im Prinzip das klassische „Cop ist an seinem Job zerbrochen“-Stereotyp. Naja, bis zu dem Moment, als sie besoffen einen Menschen überfährt und — jetzt schert die Serie plötzlich aus dem vermeintlich klar definierten Cop-Genre aus — ein Engel namens Earl ihr eine letzte Chance anbietet, der Hölle zu entgehen.
Jupp, ein Engel namens Earl. So richtig mit Flügeln und magischen Kräften, aber dennoch auf den ersten Blick nicht unbedingt ein Exemplar des familienfreundlichen Klischees eines sauberen, Frieden stiftenden Heilbringers à la Clarence, der den guten George Bailey vom Selbstmord abhält.
Jedenfalls gibt er der perplexen Grace eben diese letzte Chance, sie soll ihr Leben in den Griff kriegen … oder… it’s hell time. Wie genau er ihr dabei unter die Arme greifen will, bleibt zunächst unklar. Er lässt zumindest mal keinen Zweifel daran aufkommen, dass er ihr keine Hilfe bei der Lösung ihrer Kriminalfälle geben wird, Grace muss ihren Krempel schon gefälligst alleine auf die Reihe kriegen. Aber natürlich dürfen ein paar mysteriöse Andeutungen nicht fehlen. Und dann wäre da noch die „Holy Cow“…
Ähnlich wie Kyra Sedgwick für „The Closer“ ist Holly Hunter für „Saving Grace“ der zentrale Dreh- und Angelpunkt, von dem ein Großteil der Wirkung der Serie abhängt. Und ähnlich wie Sedgwick ist Oscar-Gewinnerin Hunter alles andere als ein Drama-Newcomer, sie hat unter anderem in „thirteen“ bereits bewiesen, wie hervorragend sie kaputte Charaktere spielen kann, die sich kurz vor der Selbstzerstörung befinden. Und das zeigt sie auch in „Saving Grace“. Auch wenn die Prämisse vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig ist, so setzt sie mit ihrem Charakter doch einen netten neuen Akzent für das abgenutzte „Engel kommt auf die Erde“-Konzept. Natürlich schwebt auch hier über allem der große moralische Zeigefinger im Stil von „Tue Gutes im Leben“, aber zumindest ist die Show bei weitem nicht so seicht und besserwisserisch umgesetzt wie beispielsweise das eingangs erwähnte „Touched by an Angel“. Auch mit einem Vergleich à la „Joan of Arcadia für Erwachsene“ tue ich mich noch etwas schwer, aber „Medium“ ist in Sichtweite.
TNT hat sich auch nicht lumpen lassen, was die Besetzung dieses Dramas anbetrifft. Neben der exzellenten Holly Hunter sind zumindest in der Pilot-Episode auch noch Leon Rippy („Deadwood“), Laura San Giacomo („Just Shoot Me“) und Tom Irwin („My So-Called Life“) zu sehen. Und der Rammstein-Song „Mein Herz brennt“ ist zentraler Teil der Hintergrund-Musik dieser Episode, was nochmals unterstreicht, dass das keine „Friede, Freude, Eierkuchen“-Produktion ist.
Fazit: Durchaus sehenswert, vor allem wegen Holly Hunter, aber es bleibt abzuwarten, wie die Show in den nächsten Episoden das Gleichgewicht zwischen Krimi-Prozedural und „Do You Believe In God?“-Selbstfindung halten wird. Gerade letzteres kann schnell nach hinten losgehen und lächerlich, predigend oder seicht wirken — die TV-Vergangenheit hält da einige Beispiele parat…
28. Juli 2007 um 09:01 Uhr
Mich konnte der Pilot nicht so wirklich begeistern. Kenny Johnson und Leon Rippy waren gut, ebenso wie das Oklahoma-Setting und der Fall war auch OK, aber mit Holly Hunters Charakter konnte ich nicht viel anfangen und das Gott-Gimmick fand ich auch nicht so interessant.
„Damages“ fand ich da um einiges besser…
28. Juli 2007 um 12:04 Uhr
Ich liebe ja Holly Hunter aber ob ich mir das ansehe…? Spricht mich vom beschriebenen Inhalt und Aufbau her überhaupt nicht an, aber ich finde sie immer so toll…versuchen kann man’s ja!
28. Juli 2007 um 15:58 Uhr
Ich war auch nicht sonderlich begeistert und froh als die Pilotfolge endlich vorbei war. Bis jetzt, meiner Meinung nach, der bescheidenste Serienstart, insbesondere bei der manigfaltigen Auswahl / Konkurrenz an neuen und guten (Preair)-Pilots.
31. Juli 2007 um 19:49 Uhr
Ich bin und war vom Piloten vollkommen begeistert. Habe – als typer Glas halb leer-Typ aber die Befürchtung, dass eben grade der ‚Fall der Woche‘ die Serie auf Dauer runterreißt. Mir gefält die Engelstory wesentlich besser.
Wie bei vielen Serien der letzten Zeit wäre es mir fast lieber, die Pilotepisode wäre – natürlich in einer etwas ausgebauten Form – als Stand alone-Film erschienen (besonders z.B. Black Donellys).
BTW, schon diesen Variety-Artikel gelesen? Fand ich recht interessant, vor allem in Verbindung mit unserer geteilten Bewunderung für den Pilotepisoden-Gott David Nutter und mit Bezug auf dessen diesjähriges ‚Kunstück‘, mit TSCC genaugenommen als Piloten eine ‚Serienepisode‘ zu schaffen (also sich an der Optik der Terminator-(Film-)Serie zu orientieren).
Und, da sab ja The Shield (immer) noch nicht gesehen hat, hat er natürlich eine weitere Perle des Castings nicht entdeckt (die in der Pilotepisode aber noch nicht so im Vordergrund stand): Kenneth Johnson (Graces designiertes love interest), der sich in seinen Jahren bei der FX-Serie vom Laiendarsteller echt gemausert hat (ich hoffe einfach mal, dass mir da meine Begeisterung für dessen ‚The Shield‘-Charakter keinen Strich durch die Rechnung macht und Johnson hält, was ich mir verspreche).
1. August 2007 um 15:04 Uhr
Tja, der Artikel spricht ein paar interessante Punkte an. Ich bin in den letzten Jahren auch deutlich zurückhaltender geworden, was die Beurteilung von Serien auf der Basis der Pilot-Episode angeht. Eine halbwegs verlässliche Aussage kann man heutzutage immer öfter erst nach Episode 2 oder 3 treffen. Aber in der Regel geht’s immer nur nach unten, wenn also schon die Pilot-Episode murks war, dann besteht meist auch keine Hoffnung mehr für den Rest.