2008: Man(n) trägt wieder Bart

baerte.jpgEs muss ein bisher unerforschtes, tief im Genom des männlichen Talk-Show-Hosts verwurzeltes Bedürfnis sein, in längeren (freiwilligen oder gezwungenen) Kreativpausen die Gesichtsbehaarung erstmal frei sprießen zu lassen. Vielleicht ist es auch nur Ausdruck eines ansonsten unterdrückten Revoluzzer-Drangs — aber mit Schmidt, Letterman und O’Brien auf der Liste der Musterexemplare kann man schon von einem stark verfestigten Trend sprechen. Aus purer Solidarität (logisch, nur deshalb) habe ich über die Feiertage den Rasierer auch einfach mal kühn ignoriert. (Angebote zur Übernahme einer Talkshow stehen aber noch aus. Dabei ist beim ZDF doch gerade ‚was freigeworden.)

Jay Leno hingegen trägt auch weiterhin sein markantes Kinn sauber rasiert zu Tage, obwohl auch er gerade eine zweimonatige Zwangspause absolviert hat. Seit Anfang November waren alle großen abendlichen Talkshows vom Bildschirm verschwunden: Tonight Show, Late Show, Late Night, Late Late Show (und weitere Permutationen der Wörter „Late“, „Night“ und „Show“) waren gleich die ersten Opfer des Autorenstreiks und liefen seither nur in Wiederholungen. Schmerzlich war das nicht nur für die Mitarbeiter der Talkshows sondern auch für die PR-Maschinerie von Hollywoods Entertainment-Industrie, die nun nicht mehr ihre neuen Filme, CDs oder Bücher auf diesem Wege promoten konnte.

Dann gelang Letterman Ende Dezember ein kleiner Coup und er konnte einen eigenen temporären Vertag mit der WGA aushandeln, der es seinen Autoren wieder ermöglichte, offiziell Gags für Letterman zu schreiben. Letterman hat den großen Vorteil gegenüber Leno & Co., dass er im Rahmen seiner Produktionsgesellschaft „Worldwide Pants“ selbst Chef seiner Talkshow (und der von Craig Ferguson) ist. CBS machte ihm dieses vertragliche Zugeständnis 1993 als Letterman frustriert über NBCs Wahl von Leno als Carson-Nachfolger eine neue berufliche Heimat suchte. Diese Unabhängigkeit ermöglichte es ihm nun, eigenständige Tarifverträge mit den Gewerkschaften abzuschließen.

Leno und O’Brien hingegen haben zwar auch eigene Produktionsfirmen (Big Dog bzw. Conaco), die ihre jeweiligen Shows co-produzieren, aber weder O’Brien noch Leno sind alleinige Eigentümer ihrer Shows, dies ist in beiden Fällen NBC Universal, welches nach wie vor von der Autorengewerkschaft bestreikt wird.

Dennoch gingen alle Shows diese Woche wieder auf Sendung. Gerade für Leno und O’Brien, die ohne Autoren auskommen mussten, war/ist es eine nette Demonstration der Improvisations-Fähigkeiten. Noch mehr als üblich sind die beiden nun darauf angewiesen, jeden kleinen Gag über die Zeit zu retten und die 42 Minuten Nettolaufzeit abzuwickeln. Vielleicht deshalb schalteten wie auch sonst mehr Zuschauer bei Leno als bei Letterman ein — eben um zu sehen, wie solch eine Show ohne Autoren funktioniert.
Conan alberte noch mehr herum als üblich und schlug die Zeit mit haarsträubenden Aktionen tot (die Zuschauern seines Strike-Blogs bereits vertraut sein dürften). Leno präsentierte einen soliden (selbstgeschriebenen) Standup, hat sich’s aber dadurch mit der WGA verscherzt — oder auch nicht, ganz so einig ist sich die Gerüchteküche noch nicht. Jedenfalls streitet man darüber, ob er als Mitglied der WGA den Eröffnungs-Monolog seiner Show selber schreiben darf oder nicht.

Der nach wie vor souveräne Letterman hingegen konnte trotz seines vermeintlichen Vorteils in Form eines Autorenteams die Quotenkrone (noch) nicht übernehmen, aber ich denke mal, dass sich das in den nächsten Wochen endlich ändern wird, wenn Leno die Reserven ausgehen und Letterman am Montag seinen Bart abnimmt. (Merkt man, dass ich Letterman gegenüber Leno bevorzuge? ;-). Nicht gerade einfacher wird es für Conan und Jay dadurch, dass auch die Gewerkschaft der Schauspieler (SAG) ihre Mitglieder dazu aufgerufen hat, bestreikten Sendungen nicht als Gast zur Verfügung zu stehen. Ohne Zweifel wird diese autoren- und schauspielerlose Situation für die Talkshows noch einige Wochen weiterbestehen.

Von dieser misslichen Lage sind nun auch die Golden Globes bzw. die ausrichtende Hollywood Foreign Press Association (HFPA) betroffen. Nahezu alle nominierten Schauspieler werden der Veranstaltung am 13. Januar wohl fernbleiben — ein Desaster für NBC, das die Show live übertragen wollte. Eine Awards-Show ohne Stars? Unvorstellbar. NBC sowie die HFPA suchen somit derzeit händeringend nach einer Lösung und hoffen wohl noch auf ein Wunder, denn sie haben eine endgültige Entscheidung auf Montag verschoben. Aber es ist wohl damit zu rechnen, dass die Show ausfallen wird oder in sehr stark modifizierter Form produziert wird. Bekanntgegeben werden die Gewinner wohl auf jeden Fall, denn die müssten eigentlich schon feststehen. Vielleicht lassen sie ja einen Praktikanten die Liste vorlesen und zeigen dann drei Stunden lang ein Testbild. Hätte vermutlich sogar noch recht gute Quoten.

Und wenn die Golden Globes schon vor dem „Abgrund“ stehen, dann kann man sich vorstellen, dass auch der Heilige Gral von Hollywoods Awards Season nicht unberührt bleiben wird: Die 80. Oscar-Verleihung am 24. Februar (Host: Jon Stewart) steht ebenfalls zur Zeit auf sehr wackeligen Füßen. Selbst ich möchte Jon Stewart nicht vier Stunden lang alleine im Shrine-Auditorium ‚rumimprovisieren sehen.

Momentan richten sich die Augen der Beobachter vor allem auf die Reaktion der Regisseuren-Gewerkschaft DGA, die nun mit Beginn des neuen Jahres ebenfalls ihre Tarifverträge mit der AMPTP neu verhandeln. Angesichts der extrem verfahrenen Situation zwischen Autoren und AMPTP könnten eventuell die Regisseure einen Muster-Tarifvertag auf den Weg bringen. Doch das ist noch Zukunftsmusik. Kurz vor Weihnachten ließen einige Gerüchtedealer sogar verlautbaren, dass die Studios und Networks den Streik zum Anlass nehmen wollten, um im TV-Business radikal aufzuräumen und den jahrzehnte-alten Rhythmus von Pilot-Season/Upfronts etc. komplett abzuschaffen. Dazu seien sie sogar bereit, die kommende TV-Season 08/09 zu „opfern“. Ich glaube, dass insbesondere dieses Taraa um ein Abschreiben einer weiteren TV-Season viel heiße Luft und Propaganda ist. Zumindest plausibel erscheint aber die These, dass die Tage der klassischen Upfronts gezählt sein könnten. Das alljährliche Buhlen um neue Serien (und die Zuschauer) hat den Networks in den letzten Seasons deutlich höhere Kosten aufgebürdet (man schaue sich nur mal die explodierenden Kosten für eine durchschnittliche Pilotepisode an — die es dann oftmals noch nicht mal on-air schaffen). Nun hat man vielleicht die Gelegenheit, um Zuschauer und Werbekunden an ein neues System zu gewöhnen.

Für Wirbel sorgte jenseits der TV-Branche heute das Gerücht um einen Coup des Studios United Artists, das wohl einen Letterman-ähnlichen Deal mit der WGA ausgehandelt haben soll. Damit könnte dieses von Tom Cruise/Paula Wagner geführte Studio nun neue Filmproduktionen deutlich vor der Konkurrenz auf den Weg bringen. Auch wenn UA ein vergleichsweise kleines Studio ist, so wären das (sofern es sich bewahrheitet) zunehmende Risse in der einst starren Front der Hollywood-Mogule. Und vielleicht bringt das der Schwarzmalerei und der Bart-Renaissance doch noch ein baldiges Ende.

6 Antworten

  1. 1
    Wolfgang schrieb:

    Sehr interessanter Beitrag! Daumen hoch 🙂

  2. 2
    Hirngabel schrieb:

    Jap, toller Überblick über diese ganze Streik-Situation.
    Ich bin sehr gespannt, ob der Streik tatsächlich ein Aufbrechen der relativ starren TV-Strukturen bewirken kann.

    Und natürlich die große Frage, ob es sich die Hollywood-Chefs wirklich leisten können/wollen, die beiden großen Aushängeschilder quasi sausen zu lassen.

    Nun ja, für mich besteht so auf jeden Fall die Möglichkeit Lost und die Sopranos aufzuholen, wenn das noch länger so weitergeht. Ist ja auch nicht verkehrt…

  3. 3
    Uwe schrieb:

    Aus purer Solidarität (logisch, nur deshalb) habe ich über die Feiertage den Rasierer auch einfach mal kühn ignoriert.

    @sab: Und wo ist das Foto? 😉

  4. 4
    sab schrieb:

    @sab: Und wo ist das Foto?

    Stell es dir in etwa so vor. 😉

  5. 5
    XantaKlaus schrieb:

    Ich habe mir mal die ersten Folgen angeschaut und sah mich wieder in meinem Bild bestätigt, dass ich mit Letterman nicht zurechtkomme, ich finde den Mann einfach nicht lustig. Dagegen war der Auftritt von Robin Williams wie immer ein Gagfeuerwerk.

    Leno hat sich ganz gut geschlagen mit seinem Monolog und Conan albert rum wie eh und je. Aber insgesamt fehlt mir mittlerweile die Zeit für Late Night Talkshows.

  6. 6
    Zarine schrieb:

    Sehr netter Beitrag! 🙂

    Kleiner Nitpick am Rande: Die Oscar-Verleihung findet seit sechs Jahren nicht mehr im Shrine-Auditorium statt sondern im (jetzt nicht mehr ganz neuen) Scientology-gestifteten Kodak Theatre statt…aber auch dort würde ich einem Jon Stewart nicht gefühlte acht Stunden lang beim herum improvisieren zusehen wollen.

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