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Jeffrey Stepakoff: "Billion-Dollar Kiss"

Dienstag, 26. Juni, 2007

Buch-Reviews finden sich im sablog in eklatant geringer Anzahl. Dabei wäre es angesichts des (mittlerweile unter die Räder gekommenen) Slogans „Quality Entertainment“ eigentlich angebracht, auch das gedruckte Wort öfters mal in einer ausführlicheren Betrachtung zu berücksichtigen. Aber dann müsste der Tag wirklich 35 Stunden haben, das letzte Nicht-Sachbuch, das ich gelesen habe war wohl „Harry Potter I“.

So hat dann das Buch, um das es sich hier dreht, auch viel mit TV-Serien zu tun. Und es ist wohl auch ein Sachbuch (es hat sogar ein Register), aber es ist keineswegs trocken und stattdessen angereichert mit vielen autobiographischen Anekdoten des Autors. Und ich muss zugeben, der Name eben dieses Autors hat mir vor dem Kauf des Buchs nicht sonderlich viel gesagt. Jeffrey Stepakoff. Irgendjemandem ein Begriff? Gut, er war unter anderem mal Co-Executive Producer bei „Dawson’s Creek“, aber ansonsten ist er sicherlich keiner der „großen“ Namen der TV-Branche, sein IMDb-Portfolio ist recht dürftig. Dennoch war ich neugierig auf das Buch, nicht nur wegen der marketingtechnisch geschickt eingefädelten „Dawson’s Creek“-Referenz im Beititel des Buchs, nein, auch weil es eines der wenigen (das einzige?) ist, das aktuelle Einblicke hinter die Kulissen der TV-Welt bietet.

billiondollarkiss.jpgNun wird vermutlich niemand von den sablog-Lesern eine Karriere als Serienautor in den USA anvisieren (obgleich ich aber von einigen weiß, die es in Deutschland versuchen), insofern dürfte der praktische Nutzen für die meisten Leser in Europa auf den ersten Blick nicht sonderlich groß sein. Aber für jeden Serienfreund, der sich intensiver mit US-Fernsehserien und vor allem mit deren Autoren beschäftigt und sich auch für die wenig glamourösen Geschehnisse hinter der Kamera interessiert, ist „Billion-Dollar Kiss: The Kiss That Saved Dawson’s Creek and Other Adventures in TV Writing“ dennoch ohne Zweifel ein „Must-Read“. Jeffrey Stepakoff gibt einen hochinteressanten Einblick in den Alltag eines Serienautors in Hollywood über den Verlauf der letzten 20 Jahre (und in Exkursen auch weit darüber hinaus) und den extremen Zyklen, den dieser Berufsstand in diesen Dekaden unterworfen war. Dies ist kein Buch, bei dem man lernt, wie man gute Scripts schreibt (das ist eher was für Frau Espenson) oder wie man Erfolg in Hollywood hat. Das ist vielmehr eine dokumentarische Aufarbeitung der jüngeren TV-Geschichte unter der besonderen Berücksichtigung von Serienautoren und ihrem wirtschaftlichen und politischen Umfeld.

Das Buch ist gespickt mit unzähligen Trivia-Details, die man als normaler TV-Zuschauer nur in seltenen Fällen erfährt und die teilweise in Los Angeles ein wohl gehütetes Gehemnis sind. Beginnend mit den schier unglaublich hohen Gehältern von TV-Autoren über Erklärungen zu den Unterschieden zwischen den diversen Tätigkeitsbezeichnungen wie beispielsweise „Consulting Producer“ und „Executive Producer“ bis hin zu den teilweise abstrusen Marotten so mancher TV-Autoren wie Steven Bochco, David Milch oder David Rosenthal bildet „Billion-Dollar Kiss“ ein unterhaltsam und zugleich informativ geschriebenes Werk. Stepakoff erläutert, wie eine Serienepisode entsteht, wie eine Sitcom-Folge produziert wird, welche konkreten Anmerkungen von Seiten des Networks zu Episoden kommen können („You may have ‚ass‘ but not ‚ass-hole‘. ‚A-hole‘ will be accepted if you remove all of the ‚crap‘ and ‚butt-breath'“) und was es mit Begriffen wie „Syndication“ und „Least Objectionable Programming“ auf sich hat. Historische Rückblicke verdeutlichen die Relevanz der Autorengewerkschaft WGA und der legendären Autoren-Streiks in den späten 80ern, deren Nachwirkungen bis heute spürbar sind. Man bekommt aus erster Hand Einblicke in die Bedeutung der so genannten „Fin-Syn“-Regelung für die kleinen Independent-Studios. Die Reise geht von Stepakoffs ersten Jobs bei „Simon & Simon“ über seine Zeit bei „The Wonder Years“, „Sisters“, „Hyperion Bay“ und endet schließlich bei „Dawson’s Creek“.

Dazwischen eingestreut sind aber immer wieder informative Rückblicke in die Entstehung des TV-Business in Los Angeles in den 50er bis 70er Jahren und die überraschenden Unterschiede zwischen dem Autoren-zentrierten TV-Geschäft und dem Regisseur-fokussierten Filmbusiness. Ein wichtiges Element bei all dem ist für Stepakoff „Quality TV“. Er erläutert, wie unabhängige Studios wie MTM mit einem neuen Produktionsmodell in den 70er und 80er Jahren den Grundstein für viele heutige Qualitätsserien legten und so von „Hill Street“ über „St. Elsewhere“ nach „thirtysomething“ sowie von John Wells („ER“), Steven Bochco („NYPD Blue“) über David Milch („Deadwood“) und Marshall Herskovitz („Once and Again“) hin zu Greg Berlanti („Everwood“) und J.J. Abrams („Alias“) neue Generationen von Fernsehprodukten und ihren Machern heranwuchsen. Auch die Genese des WB ist ein Thema, wie Joss Whedons „Buffy“ für das junge Netlet eine Marke definierte, die mit „Dawson’s Creek“ und „Felicity“ zu einem klaren Sender-Profil gefestigt wurde, an dem alle anderen Produktionen des Networks ausgerichtet wurden. Er geht auch auf den jüngsten Reality-Boom ein und das allseits ständig befürchtete Ende von Quality TV — sein beruhigendes Fazit zu diesem Thema: Trotz aller Abgesänge ist auch Reality nur eine „Phase“, gerade die Jahre 2004-2006 hätten erneut gezeigt, dass Reality TV nicht der Weisheit letzter Schluss ist und sein wird. Doch „Billion-Dollar Kiss“ ist keine Ansammlung von trockenen und theoretischen Abhandlungen. Als Serienautor bringt Stepakoff schließlich auch das nötige Handwerkszeug mit, um seine Inhalte in eine unterhaltsame und fast schon spannende Form zu packen.

Und Dawson’s Creek-Fans werden das ein oder andere interessante Detail um die Geschichte der Show erfahren, die am Ende der zweiten Staffel in Wahrheit halbtot war, von mehreren internen Eklats überschattet wurde, durch einen Geistesblitz des jungen Greg Berlanti erst eine Daseinsberechtigung erhielt und wegen immensen Produktionskosten wohl für Sony/Columbia niemals profitabel sein wird. Man sollte sich das Buch aber dennoch nicht primär als Dawson’s Creek-Memorabilia kaufen, der DC-Teil ist nur ein kleiner Teil des gesamten Buchs und dient eher als Rahmenhandlung für den Rest.

In Billion-Dollar Kiss wird keine dreckige Wäsche gewaschen. Dies ist keine Abrechnung eines frustrierten und erfolglosen Autors mit seinen Kollegen. Vielleicht werden das einige Leser bemängeln, weil er kein Nestbeschmutzer sein will und somit insgesamt doch ein recht positives Bild der TV-Branche zeichnet. Es gibt zwar ein paar süffisante Einblicke in die bizarre Marotten-Welt von diversen Showrunnern (und es werden auch einige Namen genannt), aber dies ist dennoch in erster Linie eine sorgsam recherchierte Hommage eines Autors an den Job den er liebt und den er anderen Menschen mit diesem Buch näher bringen will.

Kurzum: Sehr empfehlenswert! Für US-Serienfans, die sich auch für die Zusammenhänge hinter der Kamera interessieren, eine lohnenswerte Anschaffung. Es macht so manche Ereignisse im alltäglichen „Serienleben“ verständlicher — insbesondere im Vorfeld des drohenden Autoren-Streiks im Herbst 2007.

Ein ebenfalls interessantes halbstündiges Audio-Interview mit dem Autor gibt’s bei WGN Radio.

Das Buch gibt’s bei amazon.de.

 

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