Über das „Anke Late Night“ Debakel habe ich hier ja bisher kein Wort verloren. Auch wenn ich nicht zu denen gehörte, die schon vor dem Start der Show fest davon überzeugt waren, dass eine tägliche Late Night Show mit Anke Engelke auf dem ehemaligen Harald Schmidt Sendeplatz nicht funktionieren würde, so hatte ich zumindest ein ungutes Gefühl, das sich dann auch durch die ersten Sendungen zunehmend verstärkte. In der Konsequenz löschte ich den Auto Timer meines digitalen VCRs für die Engelke Show bereits nach einer Woche. Ich gab der Show seitdem immer mal wieder eine Chance, schliesslich war auch die Harald Schmidt Show zu „Brainpool“-Zeiten (und auch später) nicht das Gelbe vom Ei. Doch mittlerweile muss ich denjenigen voll beipflichten, die meinen, dass Frau Engelke mit der Aufgabe überfordert ist und nicht in das Format passt. Schade eigentlich. Aber sie versucht etwas darzustellen, das sie nicht ist. Sie ist eine gute scripted comedian und hat eine Begabung für Imitationen, aber Stand-Up und VIP-Interviews sind ganz und gar nicht ihr Ding. In diesem Sinne ist das Late Night Konzept ihrer Show zu wenig auf sie und ihre Stärken zugeschnitten. Selbst Schmidts größte Schwäche war der Stand-Up, aber immerhin schaffte er es noch, diese Flops durch seine eigentümlich-schräge Art zu „retten“ und kürzte in den letzten Monaten der Show den Stand-Up zunehmend. Anke Engelke ist selbst nach mehreren Monaten noch so nervös oder unsicher, dass sie immer noch ständig über ihre eigenen Witze lacht — und auch ansonsten macht sie einfach nicht den Eindruck, dass sie sich in dem Format wohlfühlt.
Brainpool hat aber pünktlich zur Sommer-„Kreativpause“ der Engelke-Show eine neue, kleine werktägliche Late Night Show auf dem Teenie-Musiksender VIVA um 21 Uhr (okay, vielleicht eher „early late night“ ;-)) gestartet — mit der hyperaktiven Sarah Kuttner, jüngst auch der älteren non-VIVA Generation durch ihre Co-Moderation der deutschen Eurovision-Vorentscheidung in zwiespältiger Erinnerung. Eigentlich habe ich ja keine so große Affinität mehr zu der ganzen VIVA-Teen-Zielgruppe, ich bin halt aufgewachsen mit MTV Europe, als es noch aus London gesendet wurde, vereehrte Ray Cokes und habe mich seit dem frühen Tod von VIVA ZWEI kaum noch mit den Programminhalten dieser Klingelton-Vermarktungsstationen beschäftigt. In diesem Sinne ist es einigermassen überraschend, dass mich ausgerechnet die anstrengende Sarah Kuttner wieder dazu gebracht hat, regelmäßig VIVA zu schauen (naja, nur ihre Show, aber immerhin). Sie hat den immensen Vorteil, nicht wie Engelke in die Fußstapfen eines übergroßen Vorbilds (Schmidt) treten zu müssen, sondern kann ihr eigenes Ding machen.
Und das macht sie mit erfrischender Unbekümmertheit. Aufmerksame Beobachter werden Elemente der Schmidt-Show erkennen, aber gleichzeitig wurde das Late Night Konzept genügend neu „erfunden“, dass die Show ihre eigene Identität entwickeln kann. Das (vermeintliche?) Chaos der Show erinnert an die gute alte Ray Cokes Zeit, dazu jeden Abend eine Band und eine genüssliche Portion Selbstironie („wir sind VIVA, wir spielen keine Musikvideos mehr“) — und vor allem: Kein Stand-Up, der eh nur schiefgehen kann. Die Show hat ohne Zweifel ihre Ecken und Kanten — so zum Beispiel Kuttners unmenschlicher Redefluss, der sie als eine ideale Besetzung für die Synchronisation der „Gilmore Girls“ qualifizieren würde, kann mehr als nervend werden – gleichzeitig ist es aber auch ein Highlight der Show. Das Publikum im Studio macht meist eher den Eindruck einer gelangweilten Schulausfluggruppe und ist wohl auch meist zu jung, Kuttner richtet sich wohl eher an die Gruppe der End-„Twentysomethings“. Auch etwas mehr tagesaktuelle Bezüge auf die Geschehnisse des jeweiligen Tages wären wünschenswert, würden aber wohl die jüngeren Zuschauer endgültig abschrecken. Die Interaktion mit dem Sidekick und der Studioband ist etwas rostig, aber insgesamt macht die Show bereits jetzt einen „runderen“ Eindruck als die ganzen mühsam-gezwungenen Wochen der Engelke-Show. Sicherlich hat auch die Redaktion „im Ohr“ von Kuttner einen wichtigen Anteil am Erfolg der Show, auch hier ist die Abkehr von dem Genre-üblichen „Schilderhochhalter“ ein gelungener Schachzug. Sarah Kuttner zeigt auch erfrischend wenig Respekt vor den Gästen ihrer Show — was seinerzeit bei Harald Schmidt eine Welle der Empörung hervorbrachte, aber im Endeffekt beim Zuschauer besser ankam als das VIP-Einschleimen der Gottschalk/Koschwitz-LateNight Experimente.
Ich werde die Show auf jeden Fall im Auge behalten (und im Auto Timer ;-)) — mal sehen, was daraus wird.
P.S.: Sie ist am 10. Oktober bei „Zimmer Frei“.