Als vor mehr als einem Jahr(!) mit dem Newcomer Matt Smith der nunmehr elfte Darsteller der „Doctor Who“-Figur vorgestellt wurde, war mein erster Gedanke: „Der ist arg jung“. Ein gewisser Anflug von Skepsis war daraufhin nicht zu leugnen — war diese Verjüngung wirklich der richtige Weg für das „Doctor Who“-Franchise? Wollte sich die altehrwürdige Tante BBC etwa verkrampft-hipp an das Teenage-Publikum „ranschmeißen“?
Dabei war die Show eigentlich schon immer eine Familiensendung, die vor allem das junge Publikum im Auge hatte. Mit „Torchwood“ und den „Sarah Jane Adventures“ gibt es neuerdings zwei Ableger für jeweils die reifere und die ganz junge Zielgruppe, doch der „Doctor“ sollte schon seit Jahrzehnten immer die ganze Familie vor den TV locken. Somit müsste das Alter des „Doctor“-Schauspielers eigentlich keine Rolle spielen, doch nach den famosen Vorlagen von Eccleston und Tennant in den vergangenen fünf Jahren hatte ich eigentlich automatisch wieder einen ähnlichen Schauspielertyp erwartet.
Doch egal wie alt der neue Doctor nun sei, das eigentliche Highlight für viele „Who“-Fans war der erste Kontakt mit dem neuen Headwriter Steven Moffat, der seit den „Blink!“ und „Silence in the Library“-Episoden als der neue Heilsbringer für die unter Russell T. Davies zuletzt kreativ recht ausgelaugte Show galt. Würde Moffat wirklich den hohen Erwartungen gerecht werden? War „Blink“ nur ein „Ausrutscher“?
Hell, no. Schon nach etwa zehn Minuten der Season-Premiere „The Eleventh Hour“ waren schon mal jegliche Gedanken an Matt Smith als möglichen Fehlgriff für die Hauptrolle wie weggeblasen. Er bringt genau die richtige Menge Enthusiasmus und Ausgeflipptheit mit, um einerseits Erinnerungen an seine Vorgänger durchschimmern zu lassen, aber zugleich dem Charakter einen deutlichen, eigenen Stempel aufzudrücken. Auch der Smith-Doctor ist immer noch der „gute alte Doctor“, wie man ihn über Jahrzehnte schätzen lernte — aber gleichzeitig auch ein bemerkenswerter und selbstbewusster Neuanfang.
Dazu packte Autor Steven Moffat wie erhofft schon gleich zu Beginn seinen Zauberkoffer aus und demonstrierte eindrucksvoll, wie inspirierte und packend inszenierte „Doctor Who“-Welten aussehen können, jenseits von dem zuweilen simplen Gigantismus der Russell-Davis-Ära. Dabei ist es faszinierend, wie viel Moffat vom „Doctor Who“-Konzept seines Vorgängers tatsächlich beibehalten hat und wie frisch und neu die Show dennoch wirkt. Da ist mal wieder die vollkommen überdimensionierte weltweite Gefahr, die der Doctor mit links bewältigt und doch hat alles seinen Ursprung in einer ganz kleinen Alltags-Angst — einem simplen Riss in einer Wand. Ausgehend von dieser kleinen Idee erschuf Moffat eine runde, abgeschlossene und phantasievolle Geschichte mit Liebe zum erzählerischen Detail (bspw. die Zeitsprünge und die Reaktionen von Amys Umwelt auf das Erscheinen ihres langjährigen „imaginary friend“), die sicherlich dazu führte, dass viele Kinder am Samstag Abend beim Zubettgehen einen ganz besonderen Blick auf ihre Kinderzimmerwände warfen. Und genau das ist es, was gute „Doctor Who“-Geschichten im Idealfall ausmachen können.
Dabei spielte die Story in dieser Folge strukturell sogar noch eine untergeordnete Rolle. Das übliche Weltuntergangszenario und das Bekämpfen des „Alien of the Week“ mit irgendwelchem haarsträubend unrealistischen Technobabble war eher der Rahmen für den eigentlichen Fokus dieser Premiere: Die Vorstellung des neuen Doctors und seiner bezaubernden Begleiterin Amy (Karen Gillan), die sich in ihrem ersten gemeinsamen Abenteuer bewähren müssen und sich dabei dem Zuschauer präsentieren können. Der Doctor befindet sich noch in den „Nachwehen“ der Regeneration und muss dieses Abenteuer auch fast ohne Hilfsmittel bestreiten, da auch sein „sonic screwdriver“ dringend zum technischen Support muss. Dadurch ist der Doctor mehr auf seine echten Fähigkeiten und Improvisationskunst angewiesen.
Besonders auffällig ist die „Regeneration“ auch in der Kameraarbeit, im Schnitt und bei der Beleuchtung. Vielleicht ist es nur der Wechsel zu besseren HD-Kameras (die jedoch meines Wissens auch schon bei den Specials verwendet wurden), aber der neue Doctor brachte auch einen deutlich veränderten visuellen Stil an den Start. Ein viel intensiveres Spiel mit der Schärfentiefe und oftmals großen Blenden, kombiniert mit zahlreichen Close-Ups, Dollyfahrten und ungewöhnlichen Kameraperspektiven verliehen einen beeindruckenden dynamischen und energiegeladenen Stil (vor allem auf einer 2-Meter-Leinwand, whoa!). Einen zweiten Blick ist auch der Rest der Inszenierung wert: Selbst die Farben wirken lebendiger, die Beleuchtung viel aggressiver. Vielleicht war das auch der frische Wind des neuen „Doctor Who“-Produktionsteams: Director of Photography Owen McPolin war zuvor ebenso wenig an einer „Who“-Folge beteiligt wie Newcomer-Regisseur Adam Smith („Skins“). Das ist wahrhaftig nicht mehr der alte Doctor der Russell-Davies-Jahre.
Das wird auch bei den Opening Credits deutlich: Ein (in meinen Ohren unnötigerweise) aufgepeppter Themesong wird von einer generalüberholten Eröffnungssequenz begleitet (die neue Schriftart der Credits gefällt mir ausgesprochen gut). Auch die TARDIS durfte sich wieder regenerieren und wird mit mehreren Ebenen und größerer Auswahl an Kameraperspektiven endlich der Vorstellung des „großen Raums in einer kleinen Box“ eher gerecht.
Es macht auch sicherlich ganz und gar keinen Sinn zu bestreiten, dass Karen Gillan als neue Sidekick-Begleiterin Amy Pond ein herzallerliebstes Cutie und wohl schon einen Großteil des Eintrittgelds wert ist ;-).
Am liebsten würde ich bereits dieser Pilot-Folge 10 von 10 Punkten geben, aber wie soll ich mir denn da noch Spielraum nach oben lassen? Sicher werden auch in der „Ära Moffat“ schwächere Füller-Episoden kommen, aber die Souveränität und Eleganz, mit der die Show in die neue Dekade startete, lassen mich auf Großes hoffen.
Fazit: Der neue „Doctor Who“ gibt der Serie den lange benötigten neuen Schwung, ohne die Show vollständig neu zu erfinden und alte Traditionen mit Füßen zu treten. Es ist der sehr gut gelungene Reboot, der eine glänzende Zukunft verspricht und den man sich auch für viele andere Serien-Franchises wünschen würde. Ohne Zweifel: Christopher Eccleston war der beste Doctor. David Tennant auch. Und Matt Smith wird es auch sein.
Es bleibt eben alles anders, aber besser.