"Wilder Westen inclusive"
Montag, 12. Juli, 2010Es gab eine Zeit, in der waren Fernsehfilm-Mehrteiler verlässlich große Ereignisse im deutschen TV. Inzwischen wurde es um diese Form der Fernsehproduktion etwas ruhiger, auch wenn diverse Sender um vermeintlich aufwändig produzierte Event-Movies hin und wieder großes Brimborium veranstalten. Aber ebenso wie es generell kaum noch Straßenfeger-Sendungen gibt, ist die Ära der großen Fernsehfilm-Mehrteiler wohl ebenfalls vorbei.
Das war an Weihnachten 1988 noch anders. Die WDR-Produktion „Wilder Westen inklusive“ war seinerzeit ein richtig großes TV-„Event“. Der WDR hatte zuvor noch nie so viel Geld in eine TV-Produktion gesteckt und bis in die Nebenrollen ein damaliges Who-is-Who der TV-Gesichter verpflichtet. TV-Legende Dieter Wedel schrieb das Drehbuch.
Im Mittelpunkt von „Wilder Westen inklusive“ steht Bruno Küssling (Peter Striebeck), ein geschiedener TV-Wetteransager aus der Hochzeit des öffentlich-rechtlichen TV, viele Jahre vor Kachelmann & Co. Er trifft im regnerischen Hamburg seinen alten Schulfreund Manfred (Manfred Zapatka) wieder, der eine große USA-Reise plant. Manfred ist ein typischer Lebemann, der seine Ehefrau ohne große Gewissensbisse mit einer attraktiven Geliebten (Gudrun Gabriel als Ingeborg) betrügt. Das imponiert dem frustrierten und hoffnungslosen Bruno mächtig. Denn der hatte nach seiner Scheidung fast schon resigniert und blickt eifersüchtig auf das vermeintlich glückliche Familienleben seiner Ex-Frau Marianne (Krystyna Janda) und deren Lebensgefährten. Bei Marianne lebt auch die gemeinsame Teenage-Tochter Carolin (Katja Studt). Um die Bindung zu seiner Tochter wieder aufzufrischen kommt Bruno das Angebot seines Freundes nur recht: Einfach samt Tochter auf die große USA-Reise mitkommen und als cooler Dad dastehen. Doch natürlich läuft alles anders als geplant — sein alter Freund muss krankheitsbedingt absagen und schließlich endet Bruno irgendwie mit Tochter und Ex-Frau(!) sowie mit der Geliebten seines Schulfreundes in den USA. In direkter Nähe zu einer Pauschalreisetruppe voller deutscher Touristen-Stereotypen. Und dann geht das Chaos erst richtig los.
„Wilder Westen inklusive“ gehört zu meinen großen TV-Kindheitserinnerungen wie auch die typischen ZDF-Weihnachtsmehrteiler wie „Anna“ und „Silas“, „Patrik Pacard“. Gut, ich war seinerzeit gerade mal zwölf Jahre und viele Scherze und gesellschaftskritische Anmerkungen gingen deutlich über meinen Kopf. Aber „Wilder Westen inklusive“ war als Familienunterhaltung geplant und so fanden selbst wir Teenies gewissermaßen eine Identifikationsfigur vor: Die seinerzeit dreizehnjährige Katja Studt als verwöhnte Tochter Carolin bot auch für die jüngeren Jahrgänge einen attraktiven Zugang zum Mehrteiler.
„Wilder Westen inklusive“ war Dieter Wedels Aufarbeitung der typisch deutschen Tourismus-Klischees in den 1980er Jahren — ein Jahrzehnt, in denen es den Deutschen so gut ging wie lange nicht mehr und Fernreisen in die weite Welt endgültig etwas Alltägliches wurden. Gleichzeitig bemüht er sich um eine sozialkritische Aufarbeitung der vielschichtigen und kontrastreichen Verhältnisse in den USA in den Reagan-Jahren. Aus heutige Sicht wirken diese gesellschaftskritischen Einschübe oftmals etwas ungelenk und sperrig — in gewisser Weise trifft das auf viele Teile des Mehrteilers zu, zwanzig Jahre gehen nun mal auch an TV-Produktionen nicht ohne Spuren vorbei.
Doch auch nach zwanzig Jahren sind manche Zitate und Szenen aus der Produktion unvergessen: Alle, die den Mehrteiler in ihrer Jugend gesehen haben, können sich an viele klassische Momente und Dialoge erinnern: „Der Koffer war niegelnagelnew with so red stripes“, „early piece“ („Frühstück“), my wife is a woman and has her days“: Fernsehmomente, die inzwischen TV-Kult sind. Tony Careys Titellied „Room with a View“ assoziiert man auch heute noch automatisch mit dem Film.
Auch wenn es wie eine abgedroschene Phrase erscheint: „Wilder Westen inklusive“ ist TV aus einer vergangenen Zeit. Heute wäre solch ein Mammut-Projekt mit einer Laufzeit von über 400 Minuten und seiner gemächlichen Art des Storytellings unrealisierbar. Der Mehrteiler nimmt sich viel Zeit für seine Charaktere und stattet sie mit viel Leerlauf aus. Viele Bildmontagen und eine ruhige, geduldige Erzählweise zeugen von einer anderen Fernsehwelt, als TV-Produktionen noch nicht bis ins letzte Detail und in endlosen Testverfahren auf Zuschauerbindung ausgerichtet waren.
Auch wenn der Mehrteiler in einigen Aspekten nicht gut gealtert ist und zeitweise ein paar Längen hat und auch gelegentlich in allzu platte Situationen abgleitet, ist „Wilder Westen inklusive“ nach wie vor ein großartiger Eckpunkt deutscher TV-Geschichte. Sechs Stunden Dieter Wedel „at his best“ mit vielen Legenden deutscher TV-Fernsehhistorie, die große Unterhaltung bieten. Trotz seiner Länge in seiner Qualität auch bis heute nur selten erreicht. Die DVDs sind von der Bildqualität jedoch nur aus der Kategorie „mittelmäßige VHS-Kopie“ – auch angesichts des Alters der Produktion noch ungewöhnlich schlecht.