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The Office (US) – Viel Vergnügen für Fremdschäm-Fetischisten

Donnerstag, 5. April, 2007

In gewisser Weise ist „The Office“ wohl immer noch ein Geheimtipp — auch wenn die Quoten längst eine andere Sprache sprechen. Denn die amerikanische Kopie der britischen Erfolgsserie wurde von vielen Serienfans vor allem mit Zurückhaltung begrüßt. Nach dem „Coupling“-Desaster schien es auch reichlich unwahrscheinlich, dass das Post-„Friends“-NBC in seiner Verzweiflung mehr als nur einen dürftigen Schnellschuss produzieren würde. Aber schließlich kam es doch anders — in mehr als einer Hinsicht.Ich will nicht behaupten, dass die US-Version in den nunmehr drei Seasons alle damalige Kritiker Lügen gestraft hat. Aber wer heutzutage versucht, die „Kopie“ mit der britischen Vorlage 1:1 zu vergleichen, der tut im Grunde beiden Shows Unrecht.

the office (c) NBC

Dabei sind sie von der Story auf den ersten Blick doch wirklich weitestgehend identisch: Eine Workplace-Comedy um ein typisches White-Collar-Büro mit einem ebenso klischee-typischen ahnungs- und planlosen Boss und demotivierten Mitarbeitern. Dazu der Frischling von der Uni, der eigentlich nur als Aushilfe arbeitet, der leicht realitätsfremde Obrigkeitsfanatiker und Arschkriecher, die Schlampe usw. Und dann natürlich der Star-Crossed-Lovers-Crush zwischen dem Vertriebsmitarbeiter und der Empfangsdame. Das alles produziert in einem neuen Pseudo-Dokumentar-Stil mit der Kamera quasi als eigenständiges Cast-Mitglied, ganz ohne Laugh-Track.

Doch wenn man genauer hinschaut, sieht man die Unterschiede, die einerseits auf den kulturellen Differenzen zwischen dem Königreich und den USA basieren, aber auch auf den kreativen Entscheidungen bei dem Entwurf der Charaktere. Am deutlichsten wird das bei US-Boss Michael Scott (Steve Carell) erkennbar. Im Gegensatz zum britischen Gegenstück David Brent (Ricky Gervais) darf Michael auch mal gewinnen. Während David von Misserfolg zu Misserfolg die Karriereleiter immer tiefer herunterfällt, wird Michael nicht ausschließlich bloßgestellt, sondern ihm werden auch erfolgreiche Momente gegönnt, in denen er sein Sympathien-Punktekonto beim Zuschauer etwas auffüllen darf. Während der „britische Mike“ vor Inkompetenz und Arroganz nur so strotzte, darf Michael offensichtlicher zeigen, dass irgendwo in ihm drin wirklich ein Hauch von Befähigung für diesen Job verborgen ist (wenn auch sehr tief ;-). Dies ist für das amerikanische Format auch notwendig, denn selbst wenn der Storyarc es mal verlangt, dass es knapp wird um Michaels Zukunft, so ist das US-Office doch auf eine längere Laufzeit als die britische Version ausgelegt. Es muss hin und wieder angedeutet werden, warum Michael beispielsweise diese Stelle überhaupt erhalten hat und so lange halten konnte (Ähnlich müssen auch seine „Frauengeschichten“ einigermaßen „fundiert“ sein). Aber bei beiden Formaten gelingt es vor allem durch den gewitzten Einsatz des Impromtu-Doku-Stils immer wieder hinter die Fassade von David und Michael zu blicken und so die beiden kleinen unbeholfenen Jungs im Erwachsenenkörper zu offenbaren.

Aber auch beim amerikanischen „Office“ gab und gibt es schwächere Folgen, insbesondere die Handvoll Episoden der ersten Staffel waren noch sehr unausgewogen. Die Show hatte in den ersten Folgen einige Schwierigkeiten, vor allem für Michael den richtigen Ton zu treffen. So konnte man bei seinem Charakter recht genau beobachten, wie die Autoren und auch Steve Carell von Woche zu Woche ein besseres Gefühl für seine Eigenheiten bekamen und ihn besser unter Kontrolle bekamen. Gleiches gilt in gewisser Weise natürlich auch für die Zuschauer, die wie bei fast jeder Show einige Wochen brauchen, um die Feinheiten der Charaktere kennenzulernen. Erst dann können sie auch über speziellere Gags lachen, die ein tieferes Verständnis der Charaktere voraussetzt.

So wurden die unterdurchschnittlichen Episoden mittlerweile weniger, aber sie kommen immer noch vor — insbesondere dann, wenn Michael über das Ziel hinausschießt. Wenn er in unnachahmlicher Weise gleich in eine ganze Trucklieferung Fetttröge stampft und munter weitermaschiert (mit Dwight dicht auf den Fersen), so dass man als Zuschauer aus einer einzigartigen Mischung aus Peinlichkeit, Mitleid und Frust über den Charakter Augen und Ohren verschließt, um sich das Unheil nicht weiter anschauen zu müssen. Im Deutschen gibt es dafür den wunderbaren Begriff „Fremdschämen“, die Amis bewerten Michaels Verhalten gerne nach dem „cringeness“-Faktor. Doch man kann auch zu weit gehen, und die Skala schlägt zu sehr in den schmerzhaften Bereich aus. Die meisten „Office“-Scripte schaffen diesen Gang auf der dünnen Linie perfekt, aber manchmal übertritt er die Linie zu weit (beispielsweise bei der Hochzeitsepisode in Season 3) und Michael Scotts Handlungen sind dann abschreckender als der blutigste Horrorschocker aus den dunklen Regalen ominöser Videotheken oder Live-Übertragungen von Magen-Operationen auf 3sat. Man fürchtet da teilweise ja schon um seine geistige Gesundheit. Aber sie ist halt schwer zu finden, diese unsichtbare Linie, die Michaels Verhalten noch lustig erscheinen lässt, aber den Zuschauer noch nicht veranlasst, eine embryonale Haltung hinter dem Sofa einzunehmen.

office (c) NBCGerade wenn man sich auch für einen Blick „unter die Haube“ (und nicht nur den „Konsum“) von Comedy-Serien interessiert, kann „The Office“ ein aufschlussreiches Lehrstück sein. Das liegt in vor allem an dem auf den ersten Blick sehr einfachen Aufbau der Show und ihrer Charaktere. Ich kann nur ausdrücklich empfehlen, sich mal ein Shooting Script (kein Transcript!) von „The Office“ zu besorgen und durchzulesen. Große Comedy … im Kopf. Man mag vielleicht vermuten, dass ein großer Teil von „The Office“ improvisiert sei, doch an den Drehbüchern kann man sehen, dass fast alles bis hin zu Details wie den heftigen Kameraschwenks und den Trademark-Close-Ups auf die Mimik von Jim/Pam in den Scripts vorgegeben ist. Und sie geben allgemein sehr viel Aufschluss darüber, wie diese Show „tickt“, wie der Rhythmus in den zwei Akten (plus Teaser) zwischen Handlung und den so genannten „Talking Heads“ (den Interviews) aussieht. Die Charaktere sind in „The Office“ sehr klar definiert und jeder spielt eine bestimmte Rolle auf der Charaktertypen-Farbskala. Unter anderem sind da der verrückte Obrigkeitsfanatiker Dwight, der Ruhepol Stanley, die konservative Angela, die hyperaktive Kelly, der schüchterne Toby und schließlich die „Normalos“ Pam und Jim, über die der Zuschauer am ehesten Zugang zur Show findet.

Die meisten Darsteller sind interessanterweise gleichzeitig auch für zahlreiche Drehbücher der Show verantwortlich. Vielleicht ist das sogar ein ideales Rezept (das sich allerdings sicherlich nicht auf andere Shows übertragen lässt): Autoren und Schauspieler in Personalunion. Das kann nämlich vor allem in den Markenzeichen der Show Vorteile bringen: Wenn ein Gag lediglich aus dem vielsagenden Blick eines Charakters in die Kamera besteht. Umso besser sich ein Autor in die Charakter hineinversetzen kann, desto erfolgreicher kann er solche non-verbalen Gimmicks timen.

Die Schauspieler können zudem ganz anders mit der Kamera agieren, wenn sie ihre Gegenwart anerkennen dürfen und mit ihr spielen kann. Hierbei fällt nicht die vierte Wand, aber es ist dennoch eine gewisse Art der Anerkennung der „Welt da draußen“. Der Doku-Stil mit den „Talking Heads“ als Alternative zum Voice-Over ist schlichtweg ein Geniestreich, schon in der UK-Fassung. Als Regisseure für einzelne Episoden waren auch schon einige namhafte Leute zugange: Unter anderem Joss Whedon, J.J.Abrams und Paul Feig („Freaks and Geeks“) — mit unterschiedlichem Erfolg.

Man sieht „The Office“ nach der Lektüre eines Scripts aus einer anderen Perspektive und kann erahnen, warum Jane Espenson in ihrem Blog öfters „The Office“ als derzeitiges Must-Have-Spec für aspirierende amerikanische TV-Screenwriter empfiehlt. Online gibt es meines Wissens zumindest „E-Mail-Surveillance“ und „The Carpet“ zum kostenlosen Download bei The Daily Script.

Das amerikanische „Office“ ist meiner Meinung ebenfalls wie „das Original“ nach jetzt schon ein Klassiker. Allerdings sind beide mittlerweile komplett unterschiedliche Serien. Außer der Grundidee und einiger grober Storyparallelen haben sie nicht mehr viel gemein — direkte „Welche-Show-ist-besser“-Vergleiche zwischen beiden sind daher kaum noch sinnvoll.

Ich weiß nicht, wie lange sie das Format noch ziehen können — die deutschen „Stromberg“-Nachahmer haben ja bereits angedeutet, dass sie ein baldiges Ende der Show ins Auge fassen. Ebenso dürfte irgendwann der US-Show das Material ausgehen und es klingt fast schon wie eine rhetorische Allerwelts-Review-Floskel: Man kann nur hoffen, dass die Autoren dies rechtzeitig erkennen. Gerade bei Comedy-Shows zeigt sich öfters, dass man sie wirklich nicht endlos ziehen kann, ohne dass Abnutzungseffekte auftreten (siehe „Frasier“, „Seinfeld“, „Scrubs“,…). Insbesondere da beim „Office“ mit dem Pam/Jim-Arc auch irgendwann der Niles/Daphne-Effekt droht.

office (c) NBCAchja, Pam aka Jenna Fischer („Blades of Glory“), Miss Next-Door-Cuteness in Person und aktuelles Geek-Pin-Up-Girl, die der britischen „Dawn“ in nichts nachsteht. Trivia-Freunde werden schon lange wissen, dass Jenna die Ehefrau von James Gunn ist, der wiederum der Bruder von „Gilmore Girls'“ Kirk (Sean Gunn) und der Autor des formidablen Horror-Flicks „Slither“ ist (in dem Jenna übrigens einen Auftritt als Zombie hat). Hollywood ist halt auch nur’n Dorf ;-). Und ja, ich habe sogar in einem Moment der Schwäche den Jenna/Pam-MySpace-Blog in meine private Blogroll aufgenommen. Mich haben all die Teenage-Couple-Shipper-Stories aus den unzähligen Serien der letzten Jahre kalt gelassen, aber wenn Pam Beesley schüchtern zu Jim hinüberschielt will man geradezu persönlich die beiden an der Hand nehmen und in die Abstellkammer einschließen… ,-)

Lange Red, kurzer Sinn: Best Comedy on TV. Und dazu eine Show mit überraschend gutem „Wiederholungs“-Faktor, bei der es sich lohnt, auf die Details zu achten. Die DVD-Sets der ersten beiden Staffeln sind gefüllt mit umfangreichen Extras, die auch diese Investition lohnenswert machen. Ein „The Office“-Marathon kann ich nur empfehlen…

Vor etwa einem Jahr sah ich mit der drohenden Absetzung von „Arrested Development“ ein wenig das Abendland in Gefahr, doch mittlerweile muss ich sagen, dass die sehnsüchtigen Blicke rüber zum Regal mit den AD-DVD-Boxen seltener werden. Das mag einerseits mit der verblassenden Erinnerung zu tun haben, aber andererseits hat sich die Lage auf dem „Comedy-Markt“ dann doch nicht so dramatisch entwickelt wie durch den Abgang der Bluth-Familie zu befürchten war. Gut, solche Rohrkrepierer wie „Help Me Bore You“, „The Class“ oder „Twenty Grausamkeiten“ ignoriert man geflissentlich. Aber frische Produktionen wie „HIMYM“, „Old Christine“ und vor allem „30 Rock“ und „The Office“ halten die Comedy-Flagge auch 2007 noch stolz hoch.

„That’s what she said!“

 

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