Die US TV Season 2005/06 wird eine Marathonsitzung für SciFi/Mystery-Fans. Einerseits die etablierten Genre-Vertreter wie „Lost“, „Medium“, „Battlestar Galactica“, „The 4400“, „Dead Zone“ und dazu dann noch ein ganzes Bouquet an neuen SciFi Shows: „Invasion“, „Surface“, „Threshold“, „Supernatural“, „Night Stalker“ und „Ghost Whisperer“ dürften im ersten Jahr der Post-„Star Trek“-Zeitrechnung für eine gewisse Übersättigung sorgen.
Der Trend geht aber weg von interstellaren, futuristischen Spaceoperas hin zu Mystery-Serien, die im Hier und Jetzt spielen — kein Wunder, sind sie ja auch viel günstiger zu produzieren.
„Supernatural“ und „Ghost Whisperer“ habe ich ja schon „abgehandelt“ — „Night Stalker“ ist wiederum ein Revival einer Serie aus den 70ern, sozusagen der Großvater von „X-Files“. „Stalker“ handelt von einem Team von Reportern, die mysteriösen Ereignissen in L.A. auf der Spur sind. Handwerklich ist die Show sauber gemacht, ein würdiger X-Files Nachfolger. Wirklich neues bietet die Serie aber nicht.
Nun hin zum Dreigestirn „Invasion“, „Surface“, „Threshold“ — die Antwort der Networks auf den durchschlagenden Erfolg von „Lost“. Alle Serien haben eins gemein: Die Aliens kommen uns besuchen. Alle Shows klingen auf den ersten Blick ziemlich ähnlich, und das sind sie auch. Mal mehr oder weniger unfällig, mal sind es Regierungsstellen, mal Wissenschaftler, mal einfache Leute, die die Ankuft von „E.T.“ mitbekommen und erforschen. Doch es gibt weitere Unterschiede.
„Invasion“ steht nach der Hurrikan-Katastrophe der letzten Wochen allerdings bereits unter einem schlechten Stern. ABC hat jegliche Promotion für die Show gestoppt, da in den ersten Episoden ein Hurrikan im Vordergrund steht, der die Küste Floridas heimsucht. Der Sturm wurde in diesem Fall jedoch von ausserirdischen Wesen verursacht, die just zu der Zeit auf der Erde (oder besser ins Meer) niederregnen. Danach beginnen sie langsam auf unbekannte Weise die Herrschaft über einzelne Menschen zu übernehmen. Die Betonung liegt hier auf „langsam“, denn im Bezug auf das Hauptthema der Serie passiert wirklich erstaunlich wenig in der Pilotepisode. Zunächst muss der Zuschauer in das komplexe Beziehungschema der Hauptcharaktere eingeführt werden (ein Durcheinander aus Ex-Frau, neuen Liebhabern, Kindern aus erster Ehe, unzuverlässigem Bruder etc) und dann steht die Naturkatastrophe und ihre Folgen im Vordergrund. Und hier herrscht nervige Hektik und Geschrei vor zusammen mit der unvermeidlichen Tochter, die trotz aller Warnungen mittem im Sturm mal in den Wald läuft… Die Aliens sind eher Beiwerk, umgeben von zahlreichen vagen Andeutungen, Mysterien und sonstigen „X-Files“-würdigen Seltsamkeiten. Um es vorweg zu nehmen, dies hat die Show mit „Surface“ und „Threshold“ gemein: Der Storyarc, der üblicherweise locker in einem 100-minütigen Spielfilm über die Bühne gebracht wird, muss über eine 1000-minütige Serienstaffel gestreckt werden. Da kann man nicht gleich die Katze aus dem Sack lassen. Man muss den Zuschauer heiss machen aber gleichzeitig genügend „Enthüllungen“ für die Sweeps aufheben. Während die „Lost“-Macher also angeblich ihre Lektion gelernt haben und in Staffel 2 etwas mehr auf Gas treten, geht es bei „Invasion“ wieder zäher zu. Vom technischen Standpunkt ist die Pilotepisode nicht zu beanstanden: Regisseur Thomas Schlamme („West Wing“) tut was er kann.
NBCs Hoffnung „Surface“ hiess mal „Fathom“. Hier ist das Thema „Alien“ zunächst nicht so sehr prominent, erstmal handelt es sich „nur“ um ein sehr großes Tier, das im Meer lebt und die Forschergemeinde in Aufruhr versetzt. Allen voran die Biologin Daughtery Carstarphen (Lake Bell), die bei einer Tieftauch-Mission von dem Wesen in Angst und Schrecken versetzt wird. Kurze Zeit später schreitet eine geheime Militärgruppe ein und unterbindet erstmal jegliche weitere Forschung. Dann ist da noch ein Freizeittaucher, dessen Freund urplötzlich von dem mysteriösen Seeungeheuer fortgerissen wird und als vermisst gilt. Und schließlich der obligatorische kleine Junge, der die Rolle von Drew Barrymore aus „E.T.“ übernehmen darf: Er findet im Meer ein seltsames schleimiges Ei und wirft es in das heimische Aquarium… Klar ist, dass sich die Wege all dieser Protagonisten irgendwo treffen werden.
Im Vergleich zu „Invasion“ geht es bei „Surface“ zumindest mal ein gutes Stückchen schneller voran. Auch der Gänsehaut/Creepyness-Faktor ist hier deutlich höher. Dennoch lässt sich auch hier der Eindruck nicht abschütteln, dass es sich um ein auf Serienlänge gezogenes Spielfilm-Konzept handelt.
„Threshold“ schliesslich ist die CBS-Variante des diesjährigen Mystery-Booms und hier treten die Aliens schon etwas aggressiver auf. Ein Frachtschiff und seine Besatzung wird von einem ausserirdischen Raumschiff (ein seltsames, scheinbar aus Eiskristallen bestehendes „Etwas“) heimgesucht, worauf sich einige Besatzungsmitglieder gegenseitig umbringen, seltsame Verformungen erleiden und/oder spurlos verschwinden. Das Militär schickt prompt eine schnell zusammengebastelte Elitegruppe aus Spezialisten an den Ort des Geschehens. Und diese Spezialgruppe scheint wie aus einem Comicbuch entsprungen. Da ist der Geek („Felicitys“ Robert Patrick Benedict), der kleinwüchsige Lebemann (Peter Dinklage) und der uninteressierte Wissenschaftler („Data“ Brent Spiner). Geleitet wird das Team von der sexy Carla Gugino („Sin City“), die Spezialistin für Alieninvasionen.
Es ist schon erschreckend, wie sehr die Charaktere überzeichnet sind und den einschlägigen SciFi-Klischee-Handbüchern entsprungen scheinen. Immerhin legt die Show von Anfang an ein nettes Tempo vor, bietet einige „creepy“ Szenen und eine Hommage an „Contact“ (die mir aber ehrlichgesagt wirklich gut gefallen hat und durchaus Gänsehaut-Potential hat). Brent Spiner muss eine obligatorische „Star Trek“ Anspielung hinnehmen und dürfte sich in dem Technobabble von „Threshold“ wieder wie zu Hause fühlen. Da verändern Aliens unsere DNA durch Audiosignale und erzeugen seltsame Muster auf Radarbildschirmen, in Stahlwänden und auch Küchenschaben tanzen in Symmetrie wie sie es seit „Joe’s Apartment“ nicht mehr getan haben. Aber wie schon in den beiden anderen Shows gilt auch hier: Alles schon mal dagewesen.
Fazit: Alle drei neuen Shows sind passable SciFi-Unterhaltung. Leider wagt keine dieser Shows mal einen ungewöhnlichen Pfad wie im letzten Jahr „Lost“ zu beschreiten. Es sind im Grunde die üblichen „ausserirdische Macht kommt uns besuchen und wir sind als Menschheit gar nicht darauf vorbereitet“-Geschichten, wie man sie bisher vor allem im Kino oder SciFi-TV-Movies sah. Die Serien erzählen dann die einzelnen Geschichten von den Menschen, die gegen die Aliens kämpfen bzw. sie erforschen. Big Deal. Alle Serien spielen mit dem Mystery-Element, mit dem Unwissen der Zuschauer. Die unbekannten Wesen werden dies wohl auch lange bleiben: nämlich unbekannt.
Man kann nur schwer eine Empfehlung für oder gegen einzelne SciFi-Shows der neuen Season aussprechen. Alle drei Shows sind eine Art „X-Files“/“Contact“/“Evolution“-Spielfilm in Serienform. Ich habe jetzt schon Probleme, die drei Shows auseinander zu halten und sie wirken in dieser Häufung eher anstrengend. SciFi Fans kennen diese Formate und auch die Inhalte und Charaktere sicherlich schon zur Genüge, was aber einen SciFi-Geek sicherlich nicht vom Einschalten abhalten kann. It’s the „X-Files“-Boom all over again. Grundsätzlich abstossend sind keine dieser Serien, erst „in the long run“ wird sich zeigen, wie die Shows sich in ihren allwöchentlichen Storyarcs weiterbewegen.
Zuschauer, deren Interessen weniger bei SciFi&Mystery liegen und schon „X-Files“ nicht mochten, werden an diesen Shows sicherlich ebenfalls keine große Freude finden. Auf der anderen Seite geht auch keiner der Shows einen solch exzentrischen Weg wie „Lost“ und ist daher vielleicht auch eher für Otto-Normalzuschauer geeignet. Das Prozedurale wird sicherlich ebenfalls stärker im Vordergrund stehen (insbesondere bei „Threshold“ und „Surface“). Ich gehe mal davon aus, dass alle drei Shows zumindest den Winter überstehen werden, aber weiter würde ich keine Voraussage treffen wollen. „Invasion“ kommt durch die unangenehme Parallele zu aktuellen Ereignissen schon zu Beginn in eine Schieflage.
Insgesamt sticht keine dieser Serien deutlich aus dem Programmangebot der Networks hervor. Nach der Kategorie der „just-another-cop-show“ haben wir nun das Genre der „just-another-mystery-show“.