Spanglish (2004)
Sobald man den Namen „Adam Sandler“ in den Opening Credits eines Filmes liest, erwartet man automatisch eine bestimmte Art von lockerer Slapstick-Comedy, die Sandler so bekannt gemacht hat. Mit Filmen wie „Big Daddy“, „Waterboy“ und „Litte Nicky“ hat sich der ehemalige Saturday Night Star einen Namen gemacht … und wurde prompt von Zuschauern und Kritikern in eine bestimmte Schublade eingeordnet. Aber schon die — naja, sagen wir mal „experimentelle“ — Produktion „Punch Drunk Love“ zeigte einen Aspekt von Sandlers Schauspielkunst, die sich nicht wirklich fundamental von seinen Comedy-Charakteren unterscheidet, aber ihm doch einen vollkommen neuen Aspekt verleiht. Sandler kann auch ernste Typen spielen ohne sich selbst untreu zu werden.
Auch seine Performance in „Spanglish“, der 2004er Produktion aus der Hand von James L. Brooks („The Mary Tyler Moore Show“, „The Simpsons“,“ As Good as It Gets“), zeigt diese neue Seite von Sandlers Fähigkeiten. Er spielt als ruhiger und einfühlender Familienvater eine weitesgehend ernste Rolle, lässt aber immer wieder seine Comedy-Talente durchschimmern, sein Gefühl für gutes Timing helfen ihm bei vielen Dialogszenen seinem Charakter eine sehr individuelle und glaubhafte Dimension zu verleihen.
„Spanglish“ erzählt die Geschichte von Flor (Paz Vega) und ihrer kleinen Tochter Cristina, die gemeinsam illegal aus Mexiko in die USA übersiedeln und zunächst in den spanischen Stadtvierteln von Los Angeles untertauchen. Als Flor nach einigen Jahren mehr Geld zum Leben benötigt, ist sie gezwungen, ausserhalb dieser vertrauten hispanisch geprägten Welt eine Anstellung als Hausmädchen zu suchen. Nicht leicht wird die Sache angesichts der Tatsache, dass sie kein Wort Englisch spricht und mit der Welt der „Weißen“ nicht vertraut ist. Doch mit einer gesunden Portion Selbstbewusstsein und der Unterstützung ihrer Tochter und ihrer Cousine findet sie eine Anstellung bei der wohlhabenden Familie Clasky. John Clasky (Adam Sandler) ist ein erfolgreicher Chefkoch, der seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat, aber dennoch weiß, dass die Familie Vorrang haben muss. Er macht keine Überstunden, ist jederzeit für seine Kinder da — nur mit seiner Frau Deborah (Téa Leoni) läuft es seit einiger Zeit nicht mehr. Sie streiten sich über die Erziehung der Kinder, ihr Sexleben ist praktisch nicht existent und wirklich zugehört haben sich die beiden auch schon lange nicht mehr. Deborah ist in vielen Aspekten das charakterliche Gegenteil ihres zurückhaltenden Mannes — sie redet wasserfallartig und aufdringlich, ist sehr auf ihr Äußeres bedacht, will ihren Kopf durchsetzen und hat schon längst den Draht zu ihren Kindern verloren.
Sie leben alle unter einem Dach mit Deborahs Mutter, einer ehemaligen Jazz-Sängerin, die sich allerdings einsam fühlt und in den Alkohol flüchtet. In diese Familie platzt nun die attraktive Flor mit ihrer Tochter und gewinnt sofort die Herzen aller Hausbewohner. Mühsam lernt sie Englisch, und versucht sicherzustellen, dass ihre Tochter nicht von der Welt der Reichen und Schicken assimiliert wird. Und natürlich verschärft sie die Spannungen in der Beziehung zwischen John und Deborah.
„Spanglish“ ist eine bezaubernde Erzählung, die vor allem von der faszinierenden Leistung der Schauspieler lebt. Der komplette Cast, inklusive der Kinderdarsteller leisten erstaunliches. Vor allem in der ersten Häfte findet die Produktion ein überzeugendes Gleichgewicht zwischen Momenten mit Tiefgang und anschließenden, leichten, auflockernden Elementen. Schwachpunkte hat der Film in erster Linie beim Erzählfluss: Im letzten Drittel rutscht der Film öfters in übermässig seichte Momente ab, verliert durch zu viele Subplots etwas den roten Faden und auch das Ende hämmert eine „Message“ des Films nochmal allzu aufdringlich und reichlich überstürzt nach Hause. Dennoch ein wirklich sehenswerter Film, insbesondere für Freunde des Dramedy-Genres à la „As Good As It Gets„.
Seit September in Deutschland auf DVD zu haben.
27. Februar 2006 um 22:24 Uhr
War nicht gerade der Gag an Punch Drunk Love, dass P.T. Anderson den typischen borderline-tourette Charakter aus den Sandlerkomödien in ein Drama gesteckt hat?
Der große Diktator ist auch kein typischer Chaplin-Slapstick, aber den Tramp spielt er darin trotzdem…
Btw: Ich würde gerne mit dem Menschen, der das Wort „Dramedy“ erfunden hat, ein paar Minuten allein in einem schalldichten Raum haben! Wenn ich mich recht erinnere, gibts das Wort Tragikomödie aus der Literaturwissenschaft schon ein paar Jahrhunderte…
28. Februar 2006 um 14:42 Uhr
Alles korrekt, ich will auch mehr darauf hinaus, dass ich (und vermutlich einige andere) diese „Portfolio-Erweiterung“ dem Waterboy Sandler vor einigen Jahren nicht zugetraut hätte. Man (resp. ich) sieht in ihm zunächst den leicht zurückgeblieben, hyperaktiven und lispelnden aber sympathischen „Bub von Nebenan“. Dass er gleichzeitig auch Charaktere mit ernsten inneren Konflikten geben kann, ist nicht selbstverständlich und „Punch Drunk Love“ hat nur deshalb so gut funktioniert. Man stelle sich den Film mal mit Jim Carrey vor… (obwohl der in „Eternal Sunshine“ auch mal einen erfrischenden Ausflug von der Gesichtsakrobatik genommen hat).
Auch Sandlers „50 First Dates“ — auf den ersten Blick eine simple romantische Komödie — zeigte eine gelungene Mischung zwischen Ernsthaftigkeit und auf der anderen Seite lockerem Humor, wobei hier im Gegensatz zu „Spanglish“ wirklich noch die Komödie im Vordergrund stand. Bei seinem besten Kumpel Rob Schneider („The Hot Chick“) könnte ich mir das beispielweise überhaupt nicht vorstellen.
Ich sehe Sandler daher in der Tradition beispielsweise eines Steve Martin (der zuletzt in „Shopgirl“ wieder eine beeindruckende Leistung abgab).
Naja, ob jetzt tragicomedy oder dramedy — sind beides zusammengesetzte Kunstwörter. „Dramedy“ mag zur Zeit ein überbenutztes Buzz-Wort sein, weil es aktuell viele Vertreter dieses Genres (im TV) gibt, aber prinzipiell ist an dem Wort doch nun wirklich nichts auszusetzen. Dann müsste man sich auch mal hinsetzen und überprüfen, ob Drama und Tragödie wirklich synonym gebraucht werden können und ob „dramedy“ und „tragi-comedy“ im Englischen nicht zwei unterschiedliche Dinge bezeichnen. Aber dazu bin ich nun wirklich zu wenig Literaturwissenschaftler, um das im Alltag unterscheiden zu wollen. Sei lieber froh, dass ich nicht „seriocomedy“ verwendet habe 😉
Man könnte da schon eher argumentieren, dass ich in einem deutschsprachigen Blog auf solche Anglizismen verzichten sollte… aber dann könnte ich den Laden hier gleich dichtmachen 🙂