Susanne Weingarten hat für SpiegelOnline eine Zusammenfassung des aktuellen Trends der „Emanzipation“ des TV-Zuschauers von fixen Programmplänen und TV-Sendern verfasst. Der Zuschauer setzt sich nicht mehr so oft wie früher nach dem „Ich lass mich berieseln“-Prinzip vor die Glotze, sondern sucht sich zunehmend aktiv seine Inhalte zusammen — wo, wann und wie er will. Das begann mit TV-Serien, die wenige Monate nach ihrer Ausstrahlung auf DVD erhältlich sind bis hin zu neuen Diensten wie IP TV oder TV on demand.
Die Autorin schafft einen netten Rundumschlag, ausgehend von den DVD-Serien kommt sie sogar bis zu der langsam bröselnden „Gatekeeper“-Funktion der (öffentlich-rechtlichen) TV-Anstalten und greift den Begriff des „Egocasting“ auf (als Gegenpunkt zum Broadcasting).
Anders als beim traditionellen Rundfunk, so das Argument, bei dem der Konsument immer wieder auf Informationen oder Überzeugungen stößt, die sein eigenes Weltbild in Frage stellen, kann er sich in Zukunft sein (Lebens-)Programm so gestalten, dass er sich nur noch dem aussetzt, was er ohnehin schon glaubt oder schätzt.
Natürlich schiesst das meilenweit an der Realität vorbei, was auch später im Artikel von Weingarten relativiert wird. „Big Brother“, „Uups – die Pannenshow“ und „Deutschland sucht den Karaokestar“ stellen auch mein Weltbild in Frage, und ich gebe zu, dem will ich mich ums Verrecken nicht aussetzen. Die neue Technologie bietet mir zudem auch viel stärker die Möglichkeit über den Tellerrand des „Broadcasting“ hinauszuschauen — ich will es mal „Worldcasting“ nennen. Die ganzen Befürchtungen um das „Egocasting“ halte ich ehrlichgesagt für Schwachsinn. Die neuen Technologien werden zumindest in dieser Hinsicht an dem Medienkonsumverhalten der Nutzer nicht viel ändern. Wer bisher nur „Mutantenstadl“ oder die „RTL2 News“ geschaut hat, wird dies auch in Zukunft weiter tun. Wer auch bisher schon in den Programmzeitungen das Angebot von arte und 3sat nicht überblätterte, wird auch in Zukunft in den neuen Medien Ausschau nach interessanten Beiträgen halten.
Ich bin nicht mehr nur darauf angewiesen, was mir meine netten regionalen oder nationalen „Gatekeeper“ für mich aussuchen, sondern kann mich (zumindest in der Theorie) in der weltweiten Medienproduktion bedienen. Natürlich entfällt in diesem Moment auch die nützliche Filterfunktion des Gatekeepers — ich muss mich also nun selbst durch ein gigantisches Angebot wühlen. Das wird andere Dienste auf den Plan rufen — beispielsweise Websites, die den TV-Konsumenten der Zukunft mit Inhaltsangaben und Reviews zu iTunes-Sendungen versorgen, sozusagen globale Fernsehzeitungen (sicherlich wird man sowas auch mal am Kiosk kaufen können, so wie es Ende der 90er mal „Programmzeitschriften“ fürs Internet gab).
Natürlich wird dieser Paradigmenwechsel nicht jeden TV-Zuschauer betreffen. Ebenso die Generation der Konsumenten, die allabendlich um 20 Uhr die ARD einschalten und auch in den darauffolgenden Stunden so sparsam zappen, als würde jeder Druck auf einen Knopf der Fernbedienung 10 Euro kosten. Daher sehe ich auch die „Grundversorgungsposition“ der öffentlich-rechtlichen Programmanbieter mittelfristig nicht gefährdet. Auch wenn sich ein Großteil der zukünftigen Generationen ihren Medienkonsum aktiv selbst zusammenstellen werden, heisst das nicht, dass es alle tun.