Eigentlich hatte ich mit Jugendserien schon mehrmals weitestgehend abgeschlossen. Irgendwann kommt wohl in jedem Leben die Zeit, in der man sich eher mit den Charakteren aus „thirtysomething“ verbunden fühlt als mit den Sorgen und Nöten der Teenager aus „My So-Called Life“ (und in einigen Jahren folgen dann Rick und Lily aus „Once and Again“ ;-)). Nach all den Jahren glaubt man wohl auch an einem gewissen Punkt mal alle möglichen und unmöglichen Permutationen aller existierenden Teen-Drama-Storylines gesehen zu haben.
Aber erstens kam’s anders und zweitens kam „skins„. Die neun Episoden der ersten Staffel dieses britischen Dramas liefen Anfang 2007 zum ersten Mal auf dem PayTV-Ableger E4 von Channel 4 und sind seit Herbst auch auf DVD erhältlich. Und nicht nur hier im Blog wurde ich mehrmals auf diese Show aufmerksam gemacht, „skins“ hatte einiges an Wirbel verursacht. Dass es sich bei „skins“ nicht um eine „normale“ Teenage-Soap handelt, erahnt man spätestens beim Anblick der kleinen Sticker auf der DVD-Verpackung, die einen Verkauf an Minderjährige untersagt. Eine Jugendserie, die nicht für 17jährige geeignet ist und abends um 22 Uhr ausgestrahlt wird? Hm, naja, in der Praxis kann sowas wohl das Interesse bei Jugendlichen eher noch erhöhen…
„skins“ handelt von einer Gruppe von 16-bis 18-jährigen Teenagern, die in Bristol leben und dort zur Schule gehen. Wie bei anderen Teen-/Twen-Serien liegt auch in dieser Show der Schwerpunkt auf dem Liebesleben (und -leiden) der jungen Menschen und ihrem vermeintlichen alltäglichen Problemen rund um Schule, Parties, Drogen und Elternhaus. Inwieweit die Serie da ein realistisches Porträt von Jugendlichen in Bristol (oder sonstwo) zeichnet, sei erstmal dahingestellt. Auf jeden Fall packen die Autoren in den wenigen Episoden so ziemlich jedes heißes Eisen an, das sie nur irgendwie in die Finger kriegen. Drogen-, Medikamenten- und sexueller Missbrauch stehen ebenso auf dem Menu wie ausschweifende und außer Kontrolle geratene Parties, abwesende Eltern und fehlende berufliche Perspektiven gepaart mit einer vollkommen kaputten Beziehung zum eigenen Körper. Dazu kommen sexuelle Experimente, Liebesbeziehungen zwischen Lehrern (und Schülern) und mittendrin lauter gelangweilte Teens, die ihre Grenzen austesten wollen. Kurz: Der personifizierte Alptraum des Beschützer-Instinkts aller Eltern.
Die Show nimmt entsprechend der Altersfreigabe dann auch kaum ein Blatt vor den Mund und zelebriert geradezu genüsslich und ausführlich den hemmungslosen Lebensstil der Hauptfiguren. Aber die Show ist keineswegs nur eine einzige Aneinanderreihung von Exzessen, wie es Channel 4 vielleicht auch nicht ganz uneigennützig in den Promos glauben lassen möchte. Die Serie findet durchaus auch ruhige und ernste Momente, aber vor allem viele surreale und absurd komische Situationen, die einfach derart over-the-top sind, dass man nur noch laut lachen kann. Jede der neun Episoden stellt dabei einen anderen Charakter aus der Freundesgruppe in den Mittelpunkt, aber es gibt auch übergreifende Storyarcs, in die alle Figuren mehr oder weniger verknüpft sind und die in einem furiosen Finale in der letzten Episode einen ersten Endpunkt finden.
Heutzutage ist es nicht mehr so außergewöhnlich wie noch vor einigen Jahren, aber es sollte dennoch angemerkt werden, dass fast alle Darsteller auch etwa im Alter der Figuren sind, die sie spielen — durchweg sind die Darsteller etwa Jahrgang 1988/89. Teilweise stellt „skins“ ihr erstes größeres Projekt dar, was man auch merkt — aber durchaus eine gewissen Grad Echtheit in die Sache bringt. Andere Schauspieler sind schon länger im Geschäft, allen voran der ehemals „kleine Junge“ Nicholas Hoult aus der Hornby-Verfilmung „About a Boy“. Die Nase von April Pearson („Michelle“) verdient zudem unbedingt einen eigenen Satz in dieser Review (diese Nase, diese Nase, ich komme mir schon vor wie Asterix und Miraculix ;-))
Die Serie als „Gesamtkunstwerk“ ist eine sehr uneinheitliche Angelegenheit — es gibt viel Licht, aber auch reichlich Schatten. In manchen Szenen denkt man, man sei in einem surrealen Alptraum (oder feuchten Traum der Autoren) gelandet nur um dann wieder im nächsten Moment einen sehr realistisch gezeichneten und nahegehenden Teenage-Angst-Moment wiederzuerkennen. Die Serie wandelt auf einem sehr schmalen Grat zwischen abgehobenen Bizarrtum (die Episode mit dem Russland-Ausflug ist dermaßen schrill und fern von Gut und Böse, dass man wahrlich an der geistigen Gesundheit der Autoren zweifelt) und gleichzeitig sozialkritischer und dramatischer Dokumentation des Teenager-Lebens in anonymen Großstädten des frühen 21. Jahrhunderts.
Viele Szenen sprühen vor inspirationaler Kraft und faszinierenden Charakterstudien, weil sie ein schonungslos offenes Bild einer jungen Generation (über-)zeichnen (hier ist insbesondere die gesamte tragische Handlung rund um die schweigsame „Effy“ zu nennen, dazu viele Szenen mit der bizarren Cassie, aber auch der unterforderten Musikhoffnung Jal). In anderen Momenten schlägt dann das Pendel wieder in herrlich komischen Slapstick mit Potential zum Kult-Klassiker aus (Chris‘ Medikamentenexperimente), überschlägt aber leider auch öfters in puren Dummfug (mit dem Tiefpunkt der erwähnten Russland-Episode) oder fällt mit einer stereotypen und/oder gut gewollten, aber richtig schlecht umgesetzten 08/15-Storyline flach auf die Nase (vieles mit dem schwulen Maxxie und seinem muslimischen Kumpel Anwar aber vor allem die Chris/Angie-Beziehung). Die Serie ist somit eine Achterbahnfahrt gleich in mehrfacher Hinsicht.
Dennoch werden einige sehr interessante und gegensätzliche Charaktere in einer überraschenden Gruppendynamik aufeinander losgelassen und zumindest ich fühlte mich durchweg gut unterhalten. Man darf die Serie meiner Meinung nach nicht zu ernst nehmen und dann wird man mit einer abenteuerlichen Chaos-Tour entschädigt, die ihre finale fünf Minuten in einem „most cheesy“ und gleichzeitig surreal-bizarren, „i can’t believe they did that“-Höhepunkt zelebriert.
Technisch gibt es nicht viel zu mäkeln, mir hat der Stil der Kameraführung und Schnitts (vor allem in der Pilotepisode) recht gut gefallen und auch die Produktionsdesigner haben ganze Arbeit geleistet bei der Ausstattung der sehr verschiedenen Charaktere.
„skins“ gehört auf meiner Liste der skurrilsten Shows 2007 in eine Reihe mit „John from Cincinnati“ und „Pushing Daisies“. Nicht dass die Shows irgendetwas gemeinsam hätten — abgesehen eben davon, dass sie sehr konsequent nach ihrem eigenen Beat marschieren. Aber sie verdienen sich alle zweifelsohne einige Meriten indem sie etablierte Regeln auf den Kopf stellen und gehören in die Kategorie „Muss man einfach mal gesehen haben, um mitzureden“ und seien es im Falle von „skins“ nur die Episoden 1 und 9.
Noch ein paar Worte zu den DVDs. Passend zur Serie kann das Verdikt auch hier nur „uneinheitlich, aber dennoch lohnenswert“ lauten. Erstmal haben sie einen ziemlich ätzenden Kopierschutz, was das Anschauen unter Linux zu einem eigenen Drama werden lässt. Dann sind viele Songs aus dem Original-Broadcast durch billige Songs ersetzt worden. In den meisten Fällen ist das nicht sonderlich gravierend, aber es fällt hie und da schon auf, dass der Soundtrack nicht recht passt (bspw. bei der Geburtstagsparty im Finale) — soweit ich auf den ersten Blick sehen kann, wurden aber zumindest Songs von zentralen Momenten der Serie beibehalten. Dennoch schade, dass solche Musiklizenzprobleme auch bei Serien made in 2007 noch ein Thema sind. Immerhin kann man sich die Songs auf dem separat erhältlichen CD-Soundtrack anhören.
Außerdem enthalten die DVDs so gut wie keinen Blick hinter die Kulissen: Kein Commentary Track, kein Making Of. Dafür gibt es aber die reichhaltigste Sammlung von Trailern, Stings und Promos, die ich jemals bei einer DVD-Veröffentlichung gesehen habe. Mindestens drei Viertel davon sind aber auch redundant und überflüssig. Warum die ich die DVDs aber dennoch als lohnenswert ansehe? Wegen den so genannten „Ancillary Storylines“ und den „Video Diaries“, die als Bonus-Material für die Channel 4-Website und die DVDs produziert wurden und in ihrer Gesamtheit im Grunde noch eine zehnte Episode bilden. Gerade bei den „Ancillary Storylines“ ist eine Menge Material dabei, die wohl auch aus Zeitgründen nicht in die Episoden aufgenommen wurden und einige Storylines der Folgen noch ein gutes Stückchen vertiefen.
Die DVDs gibt’s leider nicht in Deutschland (außer bei amazon.de über den Marketplace), aber bei den üblichen britischen Shopping-Quellen (bspw. amazon.co.uk) so ab etwa 17 Euro.
Fazit: Wie oben schon erwähnt, kann ich die Serie aufgrund ihres sehr eigenen Stils nur jedem (ab 18 Jahre ;-)) ans Herz legen (falls es wirklich noch Leute geben sollte, die sie nicht kennen — ich bin ja schon reichlich spät dran). Man sollte sich aber schon im Vorfeld bewusst sein, dass „skins“ oftmals reichlich „over-the-top“ ist und sich auf eine zuweilen sehr schräge, aber auch bewegende und dramatische Tour-de-Force gefasst machen. Jedenfalls freue ich mich auch schon auf die für Frühjahr angekündigte zweite Staffel. Es sieht so aus, als hätte ich mit Jugendserien also immer noch nicht abgeschlossen…
Skins Staffeln auf DVD bei amazon.co.uk.