Wer hatte in jungen Jahren nicht schon mal eine Idee für einen eigenen Spielfilm — vielleicht sogar schon mal ein rohes Drehbuch zu Papier gebracht, im Geiste Hauptdarsteller selektiert und den passenden Soundtrack dazu ausgesucht? In der Regel verstauben solche Phantasien aber in der Schublade mit der Aufschrift „Jugendträume“. Nicht so im Falle von Zach Braff (Jahrgang 1975). Er studierte Film an der Northwestern University, wirkte in einigen Spielfilmen in Nebenrollen mit und ergatterte schliesslich die Hauptrolle in der NBC Sitcom „Scrubs“, die sein Leben nachhaltig veränderte. Und auch er hatte bereits im College eben diese eine Idee zu einem Spielfilm, samt eines Erstentwurfs eines Drehbuchs, eine Liste von gewünschten Darstellern und eine genaue Vorstellung für einen Soundtrack.
„Large’s Ark“ sollte der Film heissen, rund um die Erlebnisse eines Mittzwanzigers, der nach langer Zeit wieder in sein Heimatdorf zurückkehrt und dort seine große Liebe findet. Und weil Zach unbedingt „seinen“ Film machen wollte, bemühte er sich jahrelang um die Finanzierung dieses Projektes, bei dem er nicht nur Regie führen, das Drehbuch schreiben, sondern auch die Hauptrolle spielen wollte. Logischerweise interessierte sich kein einziges Studio für dieses Drehbuch („Everyone said no. Everyone with a date book and a phone in Los Angeles said no.“) und dass sich sein Traum, Natalie Portman für die weibliche Hauptrolle zu gewinnen, erfüllen würde, glaubte selbst Zach nicht.
Doch dann wurde Ex-Seinfeld Produzent Gary Gilbert auf das Script aufmerksam und er finanzierte das Filmprojekt im Frühjahr 2003 mit 2,5 Millionen US-Dollar. Natalie Portman wurde angefragt … und sagte zu. Gedreht wurde in nur 24 Tagen gleich nach Drehschluß der zweiten „Scrubs“-Staffel. Über den Sommer 2003 wurde der Film geschnitten und hatte seinen großen Auftritt beim Sundance Film Festival, wo FOX Searchlight den Film für 5 Millionen US-Dollar kaufte. Dann begeisterte der Film Kritiker und Zuschauer und spielte über 27 Millionen US-Dollar ein. Seit Ende Dezember 2004 ist der Film nun in Nordamerika zusammen mit einem reichhaltigen Bouquet an Extras auf DVD erhältlich. In Deutschland hat er bis dato noch nicht mal einen Kinostarttermin (Buena Vista Intl.).
„Garden State“ ist kein perfekter Film. Aber er ist verflucht nahe dran. Er erzählt in wunderbaren Bildern die kleine, aber feine Geschichte von Andrew Largeman (Zach Braff), der nach neun Jahren wieder in seine Heimatstadt in New Jersey zurückkehrt, weil seine Mutter gestorben ist. Andrew ist Mitte Zwanzig, hat eine erfolgreiche Filmstar-Karriere in Los Angeles und betäubt seine Gefühle seit Jahrzehnten mit einem bunten Portfolio aus Beruhigungsmitteln. Die Rückkehr in seine Geburtsstadt zwingt ihn dazu, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Er trifft alte Schulfreunde wieder (u.a. Peter Sarsgaard als Mark), muss sich alten Konflikten mit seinem Vater (eiskalt: Ian Holm) stellen und lernt schließlich Samantha (Natalie Portman) kennen. Samantha ist der Katalysator für Andrews „Re-Integration“ in das Leben. Sie ist ein unbefangenes, lebensbejahendes Energiebündel und eigentlich das genaue Gegenteil des abgestumpften Andrew. Dennoch ist sie die Portion Frische, die Andrew braucht, um Schicht für Schicht seine Hollywood-bewährte Hülle abzustossen und so langsam wieder zu lernen, sich seinen Gefühlen zu stellen, anstatt sie mit Medikamenten zu unterdrücken.
Der Film erzählt in knapp 100 Minuten diese Reise von Andrew Largeman auf der Suche nach seinem wahren Ich und den kleinen Abenteuern, die er dabei erlebt. „Garden State“ könnte der definierende „Kult“-Film dieser Generation der aktuellen Mittzwanziger werden. Viele Kritiker nennen ihn das legitime Gegenwarts-Pendant zu Filmen wie „The Graduate“ und „Reality Bites“. Es wimmelt von potentiellen „Klassiker-Szenen“, sei es wenn Samantha ihren „unique moment“ kreiert, wenn die Freunde in einem Pool schwimmen gehen, seltsame Freizeitbeschäftigungen mit brennenden Pfeilen unternehmen oder sich in einer markanten Szene den Frust aus der Seele schreien.
Doch auch ohne diese „Genrationen-Kult-Theorien“ ist „Garden State“ einfach nur ein wundervoll erzählter Film. Der Film versucht nicht übermässig lustig zu sein, aber die wenigen kleinen Gags sitzen perfekt. Der Film ist amüsant und doch ergreifend. Er scheint wie eine Wunderkiste voller kleiner Überraschungen — überall entdeckt man kleine „Goodies“, die beweisen, dass hier jemand mit viel Sorgfalt und Leidenschaft sowie einem guten Auge für kleinste Details einen „Herzblut-Film“ gedreht hat. Exzellente Darsteller werden ergänzt durch fantastische Cinematographie (wunderbare Wide Shots, Crane Shots, Experimente mit Slow und Fast Motion) und ein bis ins kleinste Detail ausgefeiltes Setdesign (man beachte nur die Entwicklung der Farbauswahl über den Verlauf des Films). Dazu ein perfekt ausgewählter Soundtrack: Coldplay, The Shines, Simon & Garfunkel, Frou Frou („Let Go / Beauty in a Breakdown“) und zu meiner großen Überraschung: Zero 7, deren Album „Simple Things“ ich zufälligerweise bereits wenige Tage bevor ich den Film sah in mein Herz geschlossen hatte.
Natürlich gibt es auch in diesem Spielfilm einige Fehler, insbesondere im Continuity Bereich. Manche Szenen sind auch etwas verwirrend geschnitten, manche Übergänge zu abrupt. Es ist nunmal ein Erstlingswerk, das aber gleichzeitig durch eine erfrischende Neubelebung des üblichen Filmstrickmusters überzeugt — hier findet man keine Unterwerfung unter das strenge 3-4 Akte Modell — der Film nimmt sich die Zeit, die er braucht um seine Geschichte zu erzählen. Zach versucht aber gleichzeitig nicht den Zuschauer durch waghalsige Experimente auf die Probe zu stellen.
Und wenn der Film zu Ende geht, will man die Charaktere noch gar nicht gehen lassen, zu sehr hat man sie ins Herz geschlossen. Da hilft nur: Nochmal ansehen (und das muss man zwangsweise um die beiden Audiokommentare anzuhören).
Natalie Portman verdient einen eigenen Absatz in dieser Review: Sie zeigt eine atemberaubende Performance. Sie füllt den Charakter der Samantha vollständig aus, obwohl wir eigentlich nur recht wenig über sie im Verlauf des Filmes lernen, da nunmal Zach Braffs Charakter im Mittelpunkt steht. Es scheint fast eine erwachsene Version ihres Charakters aus „Beautiful Girls“ zu sein und es ist ein Genuss, sie nach den verlorenen Jahren in „Star Wars“ endlich wieder in einer Rolle zu sehen, in der sie ihre schauspielerischen Fähigkeiten demonstrieren kann. Ich denke, dass ihre Performance in „Garden State“ auch zu ihrem Golden Globe Gewinn für „Closer“ beigetragen hat. Sie ist zweifelsohne eine der beachtenswertesten Schauspielerinnen ihrer Generation. Der einzige Wehmuttropfen ist im gewissen Sinne auch ein Kompliment: Sie sieht zu jung aus. Die 23jährige könnte problemlos noch eine junge Teenagerin spielen — wenn man sie biertrinkend an der Seite von Zach Braff sieht, runzelt man unwillkürlich schon etwas die Stirn.
Die DVD ist wie ein EinMalEins für junge Filmemacher. Insbesondere in der Sektion der entfallenen Szenen mit über 30 Minuten Material bekommt man eindrucksvoll vorgeführt, warum man wunderbare Szenen aus einem ursprünglich zweieinhalbstündigen Film herausschneiden muss, damit der Film sein Tempo nicht verliert, sich nicht zu sehr in Nebencharaktere und Nebenschauplätzen verzettelt, „Story-Overtelling“ vermeidet, und die Charaktere eine natürliche Entwicklung durchmachen. Kurz: Wie macht macht man einen Film „kompatibel“ zu einer möglichst großen Zuschauermenge ohne seine Ziele zu verraten. Braff erwähnt in den Kommentaren dass seine Lieblingsfilme nicht viel Szenenwechsel benötigen — „just a few talking heads in a room“ sind für seinen persönlichen Geschmack genug. Doch solche Filme sind nunmal nicht massenkompatibel.
Der erste Audiokommentar mit Natalie und Zach ist zwar nicht unbedingt kurzweilig, aber dennoch öfters amüsant und informativ. Zach bringt Natalie mehrmals deutlich hörbar in Verlegenheit, wenn er sie über den grünen Klee lobt und ihre Bikini-Szene (zu Recht ;-)) als „hot“ bezeichnet. Der zweite Kommentartrack mit Zach und einigen Crew-Mitgliedern ist deutlich informativer was den Einblick hinter die Kulissen angeht. Man erfährt unterhaltsam zahlreiche Details über die Entstehung des Films und es wird kaum einen Moment geschwiegen.
Aufschlussreich ist auch das „Making Of“. Es ist nicht unbedingt das seichte Marketing-Gewäsch, das man von Mainstream-Blockbustern kennt, sondern ein mit Videokamera aufgenommes Filmtagebuch, gespickt mit Crew- und Castinterviews.
Der Film wurde in den letzten Wochen oft mit „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ verglichen wenn es darum ging, ob „Garden State“ eine Golden Globe Nominierung verdient hätte. Obwohl beide Filme recht unterschiedlich sind, so dürften sie doch beide die gleichen Zuschauergruppen faszinieren. Dennoch waren die Nominierungen für „Eternal Sunshine“ mehr als gerechtfertigt, „Garden State“ wirkt in manchen Aspekten einfach noch etwas unfertig (insbesondere das Ende des Films). Wer jedoch solche Filme wie „Eternal Sunshine“ mag, für den ist „Garden State“ IMHO allemal einen Blindkauf wert (Mich persönlich hat „Garden State“ mindestens genauso begeistert wie „Eternal Sunshine“). Auch für den Großteil der „Scrubs“-Fans (die die Show auch wegen ihrer ernsten Momente mögen) dürfte der Film sehenswert sein. Und für Natalie Portman Fans ist der Film schlichtweg ein „Must-Buy“.
Links:
Offizielles Blog von Zach Braff: http://gardenstate.typepad.com/
Inoffizielle Fansite: http://www.zach-braff.com
Interview mit Natalie Portman: http://www.insidereel.com