Irgendwelche Meinungen zu „Drive“? Mir ist es ehrlichgesagt etwas zu warm, um viel darüber zu schreiben. Auf keinen Fall sollte das hier allerdings kürzer werden als mein Eintrag zu „Underbelly“, denn das hätte „Drive“ wahrlich nicht verdient. Die ganze Tim-Minear-und-FOX-Geschichte will ich hier nicht schon wieder runternudeln (nicht Buffy, aber stattdessen: Angel, Firefly, Wonderfalls, The Inside, 13-Episoden-Fluch, yadayadayada…), daher beschränke ich mich mal auf Kommentare zu seiner neuen Show (okay, Co-Creator Ben Queen wollen wir natürlich nicht vergessen).
Die Serie ist eine Art TV-Fassung von „Cannonball Run“: Ein illegales Autorennen quer durch die USA, das schon seit Jahrzehnten immer wieder ausgetragen wird. Es winkt ein Preisgeld in zweistelliger Millionenhöhe. Doch nicht alle Teilnehmer sind freiwillig dabei und niemand weiß, wer genau diese Rennen organisiert. Natürlich haben außerdem alle Rennteilnehmer umfangreiche Background-Stories, die ähnlich wie bei „Lost“ für zahlreiche Episoden Material liefern dürften. Und ähnlich wie bei „Lost“ weiß man nie genau, wieviele Teilnehmer nun an dem Rennen teilnehmen — neue Schauspieler in die Show einzubinden wäre also auch bei mehreren Staffeln kein Problem. Und ebenfalls eine Parallele zu „Lost“ ist das Prinzip von „Der Weg ist das Ziel“, das auch das Storytelling dominiert — ob das Ziel der Show wirklich identisch ist mit dem Ziel des Rennens ist wohl mehr als fraglich. Insgesamt ist die Show also auf den ersten Blick vor allem ein Konglomerat aus vielen bereits existierenden Konzepten, die zudem scheinbar etwas verspätet auf der „Lost“-Erfolgswelle zu schwimmen versucht.
Aber was zuletzt zählt, ist eben nicht nur das Konzept auf dem Papier, sondern die Umsetzung auf dem Bildschirm. Und hier sollte doch zumindest die Beteiligung von Tim Minear einige Überraschungen versprechen, welche die Show ein wenig vom Rest des Actionserien-Einerlei abheben sollte. Co-Showrunner Ben Queen hingegen ist ja noch ein recht unbeschriebenes Blatt.
Mein erstes Fazit nach der Pilot-Doppelfolge: Sehr nett. Zwar nicht der insgeheim erhoffte Superhit, aber durchaus spannend, actionreich und hin und wieder auch ein kleines zwinkerndes Auge. Nicht alle Charaktere scheinen zu Beginn sonderlich interessant, aber dennoch ist der Ensemble-Cast ausgewogen und facettenreich. Nathan Fillion ist eine ideale Besetzung für die Hauptrolle, er ist perfekt für die Darstellung dieser Mischung aus störrischem, aber gutherzigen Menschenschlag, mit dem er auch schon die Rolle des „Firefly“/“Serenity“-Kapitäns so passend füllte. Kristin Lehman in der Rolle seiner „Partnerin“ Corinna macht hingegen noch einen etwas hölzernen Eindruck. Neben Fillion hat mir vor allem der Charakter der etwas hilflos wirkenden Muter Wendy (Melanie Lynskey, „Two and a Half Men“) mit/ohne Kind gefallen. Ihre Rolle ist ein gutes Beispiel dafür, wie in „Drive“ nicht nur Action (und Geheimniskrämerei) dominiert, sondern eben auch immer wieder eine kleine wohldosierte Portion Humor und bizarre Situationskomik eingestreut ist.
Die Rennszenen wirken überraschend gut, „Drive“ zeigt ohne Zweifel die bis dato beste Anwendung des Green-Screen-Verfahrens im TV … ohne grüne Schimmer auf den Haaren der Darsteller. Die Übergänge zwischen „echten“ Straßenszenen (mit Stuntmen-Action) und den in Studios gedrehten in-car-Szenen sind hie und da etwas zu sehr Effekt heischend (und dadurch auffallend), aber insgesamt recht nahtlos und sehenswert.
Die Story verlangt auf jeden Fall eine gesunde Portion „suspension of disbelief„, also das Aussetzen des Zweifels am Dargestellten beim Zuschauer. Aber im gewissen Sinne fordern das ja viele aktuelle Drama-Shows mit einem Mystery-Plot. Dennoch muss der Zuschauer dann doch befriedigende Antworten für einige Fragen finden, wie zum Beispiel warum keiner der Teilnehmer zur Polizei geht oder wie solch ein öffentliches und in unserer Gegenwart stattfindendes Event über mehrere Jahrzehnte so geheim bleiben konnte. Wenn zuviel solcher Dinge zusammenkommen, kann es für den Zuschauer schwierig werden, sich auf die Show und ihre Charaktere einzulassen. Aber zumindest ich hatte keine größere Probleme damit (meine Toleranzschwelle in der Hinsicht ist aber auch recht hoch).
Nach den ersten beiden Stunden wirkt die Show teilweise noch etwas unfertig, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es einige Ausgangspunkte für „Lost“-ähnliche „Big Revelation“-Momente gäbe, die die Story erst nach einigen Episoden richtig interessant und fesselnd gestalten würde. Das Setting reicht nicht für einen Hit in „Lost“-Größenordnungen, aber den Vergleich mit „Prison Break“ braucht „Drive“ meines Erachtens nicht zu scheuen. Die Show ist nicht so düster wie „The Inside“, hat eine etwas größere Zielgruppe als „Wonderfalls“, aber zugegebenermassen nicht das Kult-Potential wie „Firefly“ — zumindest mal nicht nach der Pilot-Doppelfolge.
Jetzt habe ich ja doch wieder ’ne Menge geschrieben. Und ganz ohne den selbsterfüllenden Tim-Minear-Fluch wieder auszukramen geht’s dann doch nicht. Denn die Quoten der Pilotdoppelfolge waren trotz (und angesichts) des immensen Promo-Aufwands von FOX dann doch sehr enttäuschend. Mit gerade mal 6,05 Millionen Zuschauer im Schnitt der zwei Stunden (2.6/ 7 in der Zielgruppe der 18-49jährigen) und einer spürbaren Abwanderung im Verlauf der beiden Episoden (von 6,4 Mio runter auf 5,6 Mio) müsste am heutigen Montag mit Ausstrahlung Episode drei auf dem regulären Sendeplatz schon ein mittelgroßes Wunder geschehen, um noch rosige Aussichten für die Show zu prognostizieren. 6 Millionen sind zu wenig. Und wer wird die Show noch einschalten, nachdem er zwei Folgen verpasst hat? Es ist schwer zu sagen, welche Auswirkungen die zwei Tage zuvor erfolgte Premiere der Show in Kanada auf die Quoten hatte (und die dadurch schnell grassierende Verbreitung der Folgen in Tauschbörsen), aber sie dürften wohl eher minimal sein. (Bei „Studio 60“ und „Heroes“ gab es bei einigen Episoden eine ähnliche Konstellation, die aber nicht zu eindeutigen Quotenabweichungen führten.)
Also bereitet man sich lieber (mal wieder) seelisch und moralisch auf eine weitere 13-Episoden-Miniserie vor. Wenn überhaupt soviele Episoden zusammenkommen.