Bin-jip – Leere Häuser

In vielen Filmen ist der Dialog der zentrale Storyteller. Er bringt die Handlung voran, macht uns mit den Charakteren vertraut, vermittelt uns einen Eindruck von den Gedanken der Protagonisten.
Einen vollkommen anderen Weg geht der Film „Bin-Jip“ von dem koreanischen Filmemacher Ki-duk Kim („Frühling, Sommer, Herbst, Winter… und Frühling“). Die beiden Hauptdarsteller wechseln bis auf die letzten Minuten des Films kein Wort, die komplette Charakterinteraktion läuft über Körpersprache und Mimik. Dennoch ist es definitiv nicht einer dieser schwerverdaulichen, „künstlerisch-wertvollen“ Experimentalfilme.

Bin-Jip erzählt die kleine Liebesgeschichte zweier Menschen, die sich auf sehr ungewöhnliche Weise kennenlernen und eine kurze Zeit ihres Lebens miteinander verbringen. Tae-suk ist ein guterzogener Mitt-Zwanziger, der jedoch einen seltsamen Lebenstil hat: Er bricht in die leerstehenden Wohnungen fremder Menschen ein, lebt dort einige Tage und zieht dann weiter in die nächste Wohnung. Eines Tages ist er unvorsichtig und bricht in ein Haus ein, das nicht so verlassen ist wie es scheint: Die verheiratete Sun-hwa hat sich im Haus versteckt, nachdem sie von ihrem Ehemann mishandelt wurde. Tae-suk und Sun-hwa kommen sich nach einem kurzen Schockmoment näher und daraus entwickelt sich eine einfache und doch komplizierte Beziehung.

Bin-Jip wirkt wie ein „leichtes“ Menu — fast ohne Kalorien. Der Film scheint dahinzuschweben, kein schwerer Dialog zieht ihn nach unten, dennoch erzählt der Film eine kleine Geschichte mit Tiefgang. Das ganze ist nicht sonderlich trivial zu beschreiben, man muss es wohl selbst gesehen haben. Hie und da stolpert der Film etwas über die Unplausibilitäten, aber zu keiner Zeit wird der Film langweilig oder abgehoben. Trotz der eher dramatischen Story fehlen auch kleine humorvolle Szenen nicht. Obwohl es eigentlich ein Liebesfilm ist, spielt Gewalt eine große Rolle. Wie Ki-duk Kim beides miteinander verknüpft und gegeneinanderstellt, ist bemerkenswert.

Der dritte und letzte Akt des Films ist etwas irritierend, vor allem da es nicht wirklich eine klare „Auflösung“ des Films gibt. Jeder Zuschauer muss sich in gewisser Weise seinen eigenen Reim auf die Geschehnisse machen. Aber das ist ja nicht unbedingt ‚was schlechtes, im Gegenteil.

Schlichtweg atemberaubend ist die handwerkliche Umsetzung des Films, insbesondere die fantastische Kameraarbeit — fast alle Szenen sind perfekt komponiert, ausgeleuchtet und geschnitten. Was Ki-duk Kim da in weniger als zwei Monaten geschrieben und auf Zelluloid gebannt hat, beweist dass er ein ganz besonderes Händchen für Film hat. Die FAZ nennt den Film ein „Kinowunder“. Das will ich jetzt einfach mal so stehen lassen.

Sicherlich kein Film für jeden beliebigen Kinoabend, man sollte sich schon im Klaren sein, dass dies ein etwas ungewöhnlicher Film aus einem vollkommen anderen Kulturkreis ist, der den Zuschauer auch noch einige Zeit nach dem Abspann beschäftigen kann.

Bin-Jip läuft seit dem 11. August in den deutschen Kinos. Naja, man muss schon etwas suchen. Alternativ kann man sich auch die Region 3-Version für knapp 12 Euro von cdwow.com aus Hongkong schicken lassen (englischer Titel: „3 Iron“). Bei den wenigen Dialogzeilen reichen die englischen Untertitel voll und ganz.

Trailer und mehr gibt’s auf der deutschen Website www.bin-jip.de

7 Antworten

  1. 1
    xDest schrieb:

    Ich hatte das Vergnügen, den Film schon vor einigen Wochen in der Sneak zu sehen und kann mich nur anschließen. Ein gigantischer Film, der meines Erachtens nach übrigens keine Fragezeichen offen lässt. Außerdem bricht der Hauptdarsteller (der nicht ein Wort im ganzen Film spricht) eigentlich nicht in die Häuser ein, sondern in die Leben – aber wir wollen ja nicht gleich all zu Philosphisch werden 😉

  2. 2
    Sascha (sab) schrieb:

    der meines Erachtens nach übrigens keine Fragezeichen offen lässt.

    Ja? Wie erklärst Du Dir das Ende?

    FETTE SPOILER WARNUNG

    Meine Interpretation geht derzeit in die Richtung, dass er in Wahrheit im Knast stirbt. Vielleicht hat er ja auch nie wirklich existiert (darauf würde das Zitat am Ende des Films hindeuten) und das war alles nur ein Phantasieprodukt von Sun-hwa, die ihrem Leben entfliehen wollte. Ich muss zugeben, dass mich die Szene mit der Waage („0 kg“) etwas aus dem Tritt gebracht hat.

    Alternativ bliebe natürlich auch immer noch die „Lösung“, dass er schliesslich wirklich mit dem Ehepaar im Haus lebt.

  3. 3
    MilhousevanHouten schrieb:

    Ki-Duk Kim ist tatsächlich ein Phänomen. Habe Bin-Jip noch nicht gesehen, aber schon in Bad Guy (2001) hat Ki-Duk mich komplett verblüfft, als der Hauptdarsteller, ein grobschlächtiger Zuhälter, nach ca. 3/4 des Films mit hoher kreischender Stimme spricht. Erst in diesem Moment merkt man, dass er bisher kein einziges Wort gesagt hat. Und trotzdem hat man wirklich niemals das Gefühl, einem filmischen Experiment zuzugucken. Korea hat es tatsächlich geschafft, mal eben zwei Genies des modernen Kinios hervorzubringen (neben Ki-Duk noch Chan-Wook Park mit „Oldboy“ und „Sympathy for Mr. Vengeance“).

  4. 4
    xDest schrieb:

    ES FOLGEN GANZ VIELE SPOILER, ALSO NICHT GUCKEN:

    Ich würde nicht sagen, dass er gestorben ist. Er wird von Sun geküsst und isst. Das sind schon relativ klare Aussagen bezüglich des Lebens bzw. der Existenz der Hauptperson.

    Ich versteh das Ende dagegen als ein Bildnis der Aussage des Films: Nichts ist perfekt, aber durch Gefühle (und vielleicht auch Träume oder Gedanken), täuscht man sich über das wahre Leben hinweg. Tae-Suk hat das erkannt und flüchtet sich deshalb in eine andere Art der Existenz, in die Gefühlswelt (Mit den Händen sehen). Dies ist die einzige Welt in der die Liebe zwischen ihm und Sun existieren kann.

    Man könnte natürlich philosphieren, dass Sun nur mit diesem Traum in ihrem Leben weiterleben kann und Tae-Suk nicht zwingend wirklich zwischen Geist und Körper existiert, sondern nur in ihren Gefühlen, die Sun über das wahre Leben hinweg täuschen. Ich glaube das aber nicht, da er trotz seines Geistzustandes noch handeln kann (z.B. den Gefängniswärter mit imaginären Golfbällen beschießen, essen oder küssen). In asiatischen Kulturen glaubt man schließlich auch daran, dass das Leben mehrere Stufen des Seins umfasst, die über die Möglichkeiten des Menschen eigentlich hinausgehen.

  5. 5
    Theresia schrieb:

    Schön, hier ein paar Kommentare zu lesen! Ich habe mir erst gestern den Film angeschaut und war auch sehr überrascht und begeistert! Jedoch habe ich eine wichtige Frage, die ich gerne beaatwortet kriegen würde: Wie lautete noch einmal der Sprcuh ganz am Ende des Films??? Ich hab ihn lieder wieder veil zu schnell vergessen und würde ihn mir gerne noch einmal vor Augen führen! Irgendetwas mit dreams und realitiy, aber wie gings weiter? Hoffentlich kann mir jemand helfen! Liebe Grüße!

  6. 6
    Sascha (sab) schrieb:

    Ich glaube es war irgendwas in der Richtung von „In this world it is hard to tell between what is reality and what is a dream.“

  7. 7
    Theresia schrieb:

    Vielen dank 😉

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