Autoren-Streik ab Montag: Season 07/08 zu Ende?
Samstag, 3. November, 2007Es kann wohl wirklich niemand behaupten, dass dieser Autoren-Streik in Hollywood unangekündigt kommt. Seit mindestens einem Jahr wurde darüber diskutiert, was wohl ab dem Stichtag 31. Oktober 2007 passieren würde, wenn der alte Tarifvertrag zwischen den Produzenten/Studios und den Autoren auslaufen würde. Networks und Produktionsstudios arbeiten mindestens seit der gleichen Zeit an Notfallplänen um die Autoren-lose Zeit zu überbrücken: Die Pilot-Season wurde um einige Monate nach vorne verlegt, neue Produktionen wurden im Eilverfahren bestellt (beispielsweise „in letzter Minute“ die Ankündigung zu „Dollhouse“) und bereits laufende Serien hatten in der Regel eine sehr kurze Produktionspause im Sommer, um so schnell wie möglich weitere Skripte und Episoden fertigzustellen. Und zahlreiche Reality-Produktionen stehen in den Startlöchern. Ganz Hollywood bereitet sich bereits seit Monaten auf den Ausstand vor: Viele Menschen, die irgendwie von der TV- und Film-Industrie abhängen, haben in den zurückliegenden Monaten größere finanzielle Belastungen nach Möglichkeit vermieden. Dies betrifft nicht nur Autoren und Schauspieler, sondern auch (und vor allem) die „einfachen“ Angestellten von TV-Produktionen wie Make-Up-Künstler, Handwerker und Kostümbildner. Wenn die Autoren streiken stehen nicht nur ein paar Schreibmaschinen still, sondern durch eine Art Schneeballeffekt wird eine der wichtigsten Wirtschaftsstandorte an der Westküste der USA lahmgelegt. Dies hat wie in anderen Industriezweigen gravierende Auswirkungen auf sämtliche „Zulieferbetriebe“, von den Agenten der Autoren bis hinunter zum Niedriglohn-Angestellten in einem beliebigen Fast-Food-Restaurant in der Nähe eines TV-Studios.
Worum geht’s?
Im Kern geht es (neben anderen, kleineren Punkten) bei diesem Streik um die Vergütung der Autoren für die Verwertung ihrer Werke auf DVD und im Internet. Bisher sehen beispielsweise viele Networks die kostenfreien Web-Streams kompletter Episoden auf ihren eigenen Videoportalen offiziell als „Werbemaßnahme“ (weil angeblich keine direkten Einnahmen erzielt werden) und dafür bekommen die Autoren oft keinerlei Kompensation. Ähnliches gilt für die Verwertung von Episoden auf iTunes oder Amazon UnBox. Im besten Fall erhalten die Autoren in diesen Fällen Tantiemen in Höhe des üblichen DVD-Vergütungssatzes. Und dieser DVD-Vergütungssatz ist aus Sicht der Autoren sehr gering, er beträgt 0,3%, in der Regel sind das 4 Cent pro DVD. Er wurde in einer Zeit vereinbart, als gerade die ersten Videokassetten auf den Markt kamen, die extrem teuer zu produzieren waren und keine große Gewinnspannen erwarten ließen. Keiner der damaligen Verhandlungsführer rechnete mit den späteren Änderungen im Mediensektor, die das Gesicht der TV- und Filmindustrie in den letzten Jahren so fundamental änderten. Die Autoren-Gewerkschaft WGA fordert im Bereich der DVDs nun eine Verdoppelung des Autoren-Anteils auf 0,6% und im Bereich der Verwertung in den Neuen Medien die Einführung eines allgemeinen Tantiemen-Satzes in Höhe von 2,5% der erzielten Einkünfte.
Ein weiterer großer Streitpunkt sind Reality-Serien. Nur auf den ersten Blick kommen diese Formate ohne Skripte aus. Die WGA ist der Ansicht, dass oftmals auch in diesem Genre Autoren-Tätigkeiten geleistet werden, beispielsweise wenn es darum geht, die Ereignisse im Big-Brother-Haus von außen zu beeinflussen. Offiziell sind in diesen Produktionen bisher keine Autoren beteiligt und dementsprechend werden die Mitarbeiter in diesem Unterhaltungssektor deutlich niedriger entlohnt als ihre Kollegen in den „scripted shows“.
Was sind die Auswirkungen?
Alles hängt davon ab, wie lange der Streik dauert. Für die Produzenten ist es eine betriebswirtschaftliche Frage, ob es billiger ist, den Autoren gleich zu Beginn große Zugeständnisse zu machen oder einige Monate Streik durchzustehen und dann eventuell einen besseren „Schnitt“ zu machen. Eigentlich klingt es plausibel, sich bei den strittigen Punkten „irgendwo in der Mitte“ zu treffen, aber in den letzten Wochen erschienen die Verhandlungen zunehmend festgefahren. Und nach außen wird von den Autoren vehement der Eindruck vermittelt, dass man auf jeden Fall streiken wolle. Sie haben zumindest in den ersten Wochen eines Streiks auch recht wenig zu verlieren: Ein oder zwei Monate Ausstand wären für die meisten Autoren dank gut gefüllter Streikkasse kein Problem. Sie sind es eh gewohnt, immer mal wieder für einige Monate „arbeitslos“ zu sein. Nach all dem Säbelrasseln der vergangenen Monate wäre es für die Verhandlungsführer der WGA gegenüber der Basis auch schwer zu rechtfertigen, wenn man sich ohne langen Streik auf ein eventuell schlechtes Angebot der Produzenten einlassen würde. Die Autoren bemühen sich gegenüber der Presse um Geschlossenheit und demonstrieren ihre Bereitschaft, mindestens vier Monate streiken zu wollen. Aber auch die Studios und Networks zeigen PR-wirksam Gelassenheit und lancieren geschickt Meldungen, nachdem die Season 2007/08 eh bereits größtenteils gefloppt sei und sie einen Streik dieses Jahr somit eher tolerieren könnten — frei nach dem Motto: „jetzt ist eh alles egal, bringen wir’s hinter uns“. Einige Beobachter gehen gar davon aus, dass dieser Ausstand mindestens 6 Monate dauern wird, eben weil beide Seiten derart verbissen sind.
Der letzte Autoren-Streik 1988 dauerte 22 Wochen, in einer Zeit als es noch so gut wie keine Reality-Serien gab. „COPS“ entstand damals als eine erste Reaktion der Networks auf die gähnend leeren Sendepläne. Heute hängen die TV-Sender nicht mehr derart stark von „scripted shows“ ab, dank dem Reality-Boom hat man einige Ausweichmöglichkeiten. Dennoch würde auch heute noch ein Streik gravierende Auswirkungen auf die Sendepläne haben.
Dies beginnt bei den abendlichen Talkshows. Conan, Leno, Letterman, Kimmel, Colbert, etc: Sie alle werden bereits am Montag die Ausstrahlung neuer Folgen einstellen. Diese Daily Shows kann man nicht im Voraus produzieren. Zudem sind die meisten Late-Night-Hosts wie Letterman und Leno auch selbst Mitglied in der WGA und stehen somit den Interessen der Autoren positiv gegenüber. Sie dürften laut den Streik-Regeln prinzipiell zwar ihre Sendung moderieren und könnten auch Gäste interviewen, aber der übliche Stand-Up zu Beginn oder die typischen Comedy-Bits wären nicht möglich. Allgemein wird erwartet, dass es dieses Jahr ähnlich wie 1988 ablaufen könnte, als Johnny Carson erst nach zwei Monaten wieder zurück auf den Bildschirm kam, in einer „Notfassung“ der Tonight-Show. Auch live produzierte Comedy-Shows wie „Saturday Night Live“ würden sofort ausfallen.
Die meisten PrimeTime-Drama und -Comedy-Serien sind allerdings für die nächsten fünf bis acht Wochen „sicher“. Sie produzieren bereits seit Mitte des Sommers neue Episoden und haben somit genügend Episoden „auf Halde“, um die Zeit bis etwa Anfang/Mitte Dezember zu überbrücken. Zudem haben viele Serien auch bereits weitere vier bis sechs Drehbücher fertig. Diese Drehbücher könnten prinzipiell auch verfilmt werden — kleinere Änderungen oder „Rewrites on the set“ sind aber nicht möglich. Zudem gibt es viele WGA-Mitglieder, die so genannte „Hybriden“, also gleichzeitig Autor und Produzent sind. Für sie ist die Lage besonders problematisch, da sie im Grunde „zwei Herzen in einer Brust“ haben. Einerseits sind sie natürlich daran interessiert, neue Folgen für ihre eigene Show zu produzieren, andererseits wollen sie aber auch nicht als „Streikbrecher“ angesehen werden. Die in der WGA organisierten Autoren sind zudem verpflichtet, während des Streiks auf der Straße in den so genannten „picket lines“ zu demonstrieren — die beste deutsche Übersetzung dafür ist wohl „Mahnwachen“.
Autoren dürfen in Streik-Zeiten gar nichts schreiben. Klar, nicht davon betroffen ist der Einkaufszettel, das eigene private Blog oder ein unabhängiger Buchvertrag. Aber sie dürfen nicht mit ihren Produzenten über den weiteren Verlauf ihrer Serien diskutieren, neue Serien-Projekte verhandeln, „Spec“-Skripte einreichen, heimlich weitere Episoden daheim „vorschreiben“ oder für alternative Projekte der Studios in den Neuen Medien tätig werden (bspw. eine Webseries, das offizielle Network-Blog o.ä.). Dies gilt auch für Autoren, die derzeit keine feste Anstellung haben: Sie würden ebenfalls als Streikbrecher gelten. Theoretisch wäre es allerdings möglich, dass die Networks/Studios neue Autoren verpflichten, die noch nicht in der WGA organisiert sind — genügend Interessenten gäbe es sicherlich. Die WGA stellt allerdings klar, dass derartige Streikbrecher in Zukunft keine Chance mehr hätten, in die WGA aufgenommen zu werden — was eine Voraussetzung ist, um als Autor bei einer Produktion offiziell angestellt zu werden.
Bei den meisten Produktionen rechnet man derzeit mit dem „Worst Case“: Das würde bedeuten, dass der Streik mindestens vier Monate dauert und somit der Produktionsrückstand bis zum Ende der Season im Mai 2008 nicht mehr aufgeholt werden könnte. Damit wäre die Season nach dem „Aufbrauchen“ der vorproduzierten Episoden zu Ende – in der Regel hätten die meisten Serien damit eine verkürzte Staffel von neun bis dreizehn Episoden. „Pushing Daisies“ hat gerade Episode 9 abgedreht und in dieser Episode einen wichtigen Charakter-Arc zu Ende gebracht. Die Produktion von „Heroes“ befindet sich zwar bereits bei Episode 13, könnte aber nach Episode 11 die Season beschließen — zumindest wird derzeit ein alternatives Ende für diese Episode gedreht, um als Season-Finale zu dienen. „Heroes: Origins“ wurde ja bereits angeblich wegen dem Streik eingestellt (ich halte das aber für eine Ausrede — der wahre Grund dürfte eher bei den schwachen Quoten und dem abgeflauten Heroes-Hype zu suchen sein). Auch bei vielen anderen Serien dürfte man seit einiger Zeit insgeheim bereits für ein vernünftiges Ende der Shows nach 11 oder 13 Episoden planen. Dies eröffnet den Networks natürlich auch eine Hintertür, bei bereits (vorschnell) verlängerten Serien doch noch den Stecker zu ziehen. So könnte das CW eine Absetzung von „Gossip Girl“ nach Folge 13 trotz der Full-Season-Order problemlos rechtfertigen. Bei den Midseason-Serien sieht die Sache nicht viel anders aus: Von den geplanten 16 Episoden von „Lost“ sind bisher erst acht Episoden gedreht — zumindest die will ABC aber im Januar auf jeden Fall ausstrahlen. Auch „24“ hat nach all den Turbulenzen zu Beginn der Season bestenfalls die Hälfte der Staffel abgedreht, der Stand bei anderen Midseason-Serien (und -Newcomern) ist unklar, die meisten dürften aber schon eine Handvoll Episoden fertig haben.
Für viele Newcomer-Serien hatte die Streikankündigung allerdings auch positive Auswirkungen: Noch selten waren nach sechs Wochen noch soviele neue Serie on-air wie in diesem Jahr. Selbst solche Quoten-Flops wie „Journeyman“, „K-Ville“ oder „Cavemen“ produzieren weiter munter neue Folgen und haben somit immer noch eine winzige Chance, neue Zuschauer zu gewinnen — die Networks sind froh über jede gefüllte Sendeminute. Es ist aber unwahrscheinlich, dass sie nach einem Streik jemals wieder die Produktion aufnehmen würden. Aber auch andere Shows könnten dadurch in Schieflage geraten: Schließlich stünde eine Zwangs-Sendepause von Mitte Dezember 2007 bis zum Start der neuen Season im Oktober 2008 bevor — somit über 10 Monate — das dürfte zur Zuschauerabwanderung bei viele Serien (und Networks) führen. Ein sehr langer Streik (mehr als sechs Monate) könnte schließlich auch Auswirkungen auf die Season 08/09 haben, da neue Serien im Frühjahr/Sommer 2008 nicht rechtzeitig unter Dach und Fach gebracht werden können und mit der Produktion starten können.
Manche Comedy-Serien wie „Everybody Hates Chris“ haben bereits eine komplette Staffel im Kasten, Zeichentrickserien wie „The Simpsons“ haben eh einen Vorlauf von einem Jahr — ein Streik würde sich hier also erst mit reichlich Verzögerung 2008/2009 auswirken.
Profitieren können vor allem Reality-Formate wie „American Idol“, das im Januar FOX sicherlich zur Quoten-Krone verhelfen wird. Dazu gibt es ja noch unzählige andere Formate wie „Dancing With the Stars“ oder Quizshows, die neben Wiederholungen von Scripted Shows die Programme füllen werden. Sollte der Streik also wirklich am Montag um 12 Uhr beginnen (und ich gehe eigentlich fest davon aus, dass es so kommt), dann werden die deutlichsten Auswirkungen für Serien-Fans erst ab Dezember zu spüren sein. Das wäre aber dann doch die ideale Gelegenheit, um mal wieder den ein oder anderen DVD-Serien-Marathon durchzuziehen. Ich habe hier jedenfalls noch so einiges „auf Halde“, ich bin somit auf einen Streik gut vorbereitet ;-).
Aber dennoch gibt es immer noch die Chance, dass sich Produzenten und Autoren doch noch nach ein oder zwei Wochen (oder bereits morgen) einigen und der „Streik von 2007“ würde schon in einigen Wochen vergessen sein. Zumindest bis die Schauspieler und die Regisseure streiken, denn deren Tarifverträge laufen im Frühjahr 2008 ebenfalls aus… und dann beginnt alles nochmal von vorne…