Wer dieses Blog schon länger kennt, der weiß, dass ich seit nunmehr 15 Jahren ein Auge auf die Karrieren der ehemaligen „My So-Called Life“-Darsteller geworfen habe. Viel gibt es leider von den meisten nicht zu berichten. So hat A.J. „Rayanne“ Langer in eine britische Adelsfamilie eingeheiratet und ist zweifache Mutter, Devon „Brian“ Gummersall ist in kleineren TV-Gastauftritten sowie als Indie-Film-Autor unterwegs, Devon „Sharon“ Odessa besitzt eine kleine Schauspielschule für Kinder in L.A., Wilson „Rickie“ Cruz ist ein engagierter Kämpfer für die Rechte der LSGB-Gemeinde und ist ebenfalls noch als Schauspieler aktiv und Lisa „Danielle“ Wilhoit hat sich ganz ihrem Hobby/Beruf als professionellen Pole-Tänzerin mit gelegentlichen TV-Miniauftritten gewidmet.
Aber die großen Stars sind eigentlich Jared Leto und Claire Danes. Jared Leto vor allem wegen seiner eindrucksvollen Doppel-Karriere als Schauspieler und Musiker („30 Seconds To Mars“), was in dieser Kombination und mit diesem Erfolg nicht viele schaffen.
Viel zu ruhig ist es hingegen um die frühere Teen-Schauspielhoffnung Claire Danes gewoden. Sie hat sich aus dem Scheinwerferlicht weitesgehend herausgehalten, viele sehr unterschiedliche Schauspielerrollen verkörpert, aber der ganz große Hollywood-Durchbruch blieb ihr bisher verwehrt. Das soll sicherlich nicht heißen, dass sie am Hungertuch nagen muss, sie besitzt ein 1-Mio$-Loft in New York, aber es fehlt nunmal die große Anerkennung, und die wird in Hollywood in der Maßeinheit „Oscar“ gemessen. Es liegt nahe, dass sie diesen Durchbruch aber auch nicht „mit allen Mitteln“ erlangen will, sie sucht sich ihre Angebote in der Regel sorgsam aus. Sie ist keine neue Cameron Diaz geworden, hatte aber auch keinen Lindsay-Lohan/Winona-Ryder-Total-Absturz.
So schien es fast unvermeidlich, dass auch sie früher oder später wieder den Weg zurück von der Leinwand auf den kleinen Bildschirm finden würde, weil dort heutzutage oftmals die besseren (in diesem Kontext: künstlerisch interessanteren) Angebote vorliegen.
So geschehen dann auch im vergangenen Jahr: Die inzwischen 30jährige und verheiratete Claire Danes unterschrieb für einen TV-Movie für HBO. Inhalt: Die Verfilmung der spannenden Biographie über eine Frau mit Autismus, die internationale Karriere machte und ausgerechnet die Abläufe in der amerikanischen Viehzucht(!!) revolutionierte. Von der oberflächlichen Beschreibung aber nicht unbedingt ein Ereignis, das man sich automatisch dick in der TV-Zeitung anstreicht.
Doch der Film „Temple Grandin“, benannt nach der Protagonistin, zählt zu den besten Biographie-Verfilmungen, die ich je gesehen habe. Klaro, ich sehe ihre Filme natürlich in gewisser Weise durch eine Fan-Brille, selbst „The Mod Squad“ habe ich bis zum Ende durchgestanden. Aber „Temple Grandin“ ist so brillant umgesetzt, dass man beim Gedanken an Sandra Bullocks Oscar-Gewinn für „The Blind Side“ noch ein etwas flaueres Gefühl im Magen bekommt als zuvor. Absolut bestechend ist dabei in erster Linie die Performance von Claire Danes, die in ihrer Verkörperung von Temple Grandin wahrlich überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen ist. Es ist eine atemberaubende Transformation in eine vollkommen andere Persönlichkeit, mit einer selbstbewussten und von der ersten Sekunde an glaubhaften Darstellung, die zu keiner Zeit als profanes „Award-Grabbing“ künstlich dramatisiert scheint.
Aber der Film profitiert nicht nur von Claires beeindruckender Performance, auch die Nebenrollen sind mit Julia Ormond als engagierte Mutter und Catherine O’Hara als sorgsame Tante exzellent besetzt. Richtig gelungen ist aber auch die visuelle Repräsentation von Temples Autismus. Mit behutsam und geschickt eingesetzten visuellen Effekten wird Autismus auch dem Zuschauer ohne thematisch tiefgehende Vorkenntnisse verständlich veranschaulicht. Man beginnt zu verstehen, wie Menschen mit Autismus die Welt erfahren, ohne dabei von einem überdimensionierten CGI-Effekt erschlagen zu werden. Dieser Film könnte Pflichtprogramm für alle von Autismus indirekt oder direkt Betroffenen werden. Aber auch „Unbeteiligte“ dürften von der Qualität der Darstellung der Thematik fasziniert sein.
Um Claire diesen Emmy in sieben Wochen noch zu nehmen müsste wohl schon die unerreichte Meryl Streep höchstpersönlich einen TV-Film aus dem Ärmel schütteln. Fast mag man schon bedauern, dass das Budget nicht für eine aufwändigere Produktion und somit eine Kino-Veröffentlichung ausreichte, aber auf der anderen Seite hätte Claire dann auch vermutlich aufgrund ihres geringen „Marktwertes“ kaum die Titelrolle erhalten. So wird es nun hoffentlich „nur“ ihr erster Emmy (für „My So-Called Life“ war sie 1995 ebenfalls nominiert, verlor aber gegen Angela „Murder She Wrote“ Lansbury) — endlich. Denn dieser Film beweist erneut, dass Claire Danes eine überaus begabte Schauspielerin ist, die man viel zu selten in großen Produktionen sieht und von ihrer Klasse und Fähigkeiten eigentlich ganz oben in der Hollywood-Hierarchie zu finden sein müsste.
Heute wurden nun die Emmy-Nominierungen für „Temple Grandin“ bekannt gegeben: Die HBO-Produktion erhielt sagenhafte 15 Nominierungen, darunter David Strathairn für seine Rolle als fürsorgerischer Dr. Carlock, außerdem Julia Ormond und Catherine O’Hara, der Film als Ganzes sowie das Drehbuch und natürlich Claire Danes für die Hauptrolle. Ihre ärgste Konkurrentin im Rennen um den Emmy wird die hochgelobte Hope Davis als Hillary Clinton in der weiteren HBO-Produktion „The Special Relationship“ sein. Dennoch, ich setze mein Geld auf Claire.
„Temple Grandin“ erscheint am 17. August in den USA auf DVD.
Update 30.8.10: Es kam dann tatsächlich so wie erhofft: Insgesamt sieben Emmy-Auszeichnungen erhielt „Temple Grandin“ und war damit der Abräumer des Abends. Darunter gab es auch den Preis für die beste Hauptdarstellerin in einem Fernsehfilm für Claire Danes und den Emmy für den „besten Fernsehfilm“ des Jahres.